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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gefallen.«
    Prohacek war stehen geblieben, ich drehte mich zu ihm um und so standen wir uns gegenüber wie zwei Duellanten. Bis Prohacek seufzte, den Blick abwandte und leise sagte: »Ich   … Sie hatte sich verändert, glauben Sie mir. Das, was Sie sagen, mag zutreffen für die Frau, die sie früher gewesen war. Aberseit die Krankheit bei ihr diagnostiziert wurde, stellte sie sich ständig selbst infrage. Sie dachte über ihre Vergangenheit nach, über ihr Leben. Sie wollte vieles wiedergutmachen. Im Grunde gab sie sich selbst die Schuld an ihrer Krankheit.«
    »Wieso denn das?«
    »Sie hat das als persönliches Versagen, als Scheitern an der Herausforderung, die das Leben darstellt, empfunden.«
    »Das ist typisch für sie.« Ich konnte den Groll in meiner Stimme nur schwer verbergen. »Das Leben selbst als einen Wettbewerb zu sehen, als ein Rennen, in dem du schneller, besser, perfekter als die anderen sein musst.«
    »Glauben Sie mir, Maja, sie hatte das alles längst selbst erkannt. Was meinen Sie, wie viele Briefe sie an Sie geschrieben hatte. Und keinen davon je abgeschickt. Sie ist sehr streng mit sich selbst ins Gericht gegangen.« Er verstummte und wir gingen nebeneinanderher, unser Schweigen war begleitet vom Knirschen unserer Schritte im Kies und dem Wispern des Laubs in der Buchenhecke. Ich sah hinauf zum Himmel und betrachtete die grauen Wolkentürme. Eine Krähe flog über unsere Köpfe hinweg und ließ sich auf einem Abfallkorb nieder und begann den Müll herauszupicken und auf den Boden zu werfen. Prohacek folgte meinem Blick und sagte: »Kluge Tiere, diese Krähen. Es gibt welche, die lassen sich von Autos ihre Nüsse knacken.«
    »Wie meinen Sie?«
    »Krähen legen Nüsse auf die Straße, warten, bis ein Auto darüberfährt, und picken sie dann aus.«
    »Wahrlich clever«, sagte ich und musste lächeln. Wir waren inzwischen am Ende des Parks angelangt und standen vor einem schmiedeeisernen Tor, das an der Grenze zur wirklichen Welt lag, mit dem rauschenden Verkehr auf der anderen Seite.
    »Wie haben Sie sie eigentlich kennengelernt? Und wann?«
    »Das ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her. Sie ist zu mir in die Praxis gekommen, sie hatte Schmerzen im Knie, eine Entzündung.«
    »Sind Sie denn Orthopäde, ich dachte   …«
    »Nein, nein, ich bin praktischer Arzt, aber Erna hatte sie sozusagen überlistet.«
    »Erna?«
    »Ja«, sagte er und ein kleines, trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich war doch einige Jahre mit Erna zusammen gewesen.«
    »Ach«, entgegnete ich und glaubte, nicht recht zu verstehen.
    »Lilli weigerte sich, mit ihrem Knie einen Arzt aufzusuchen, und da hat Erna sozusagen eine List gebraucht und wir haben ein Treffen arrangiert, das heißt, ich bin wie zufällig vorbeigekommen, als Ihre Mutter einmal bei Erna zu Besuch war. Erna hatte gehofft, sie würde sich von mir persönlich überzeugen lassen, dass es besser wäre, das Knie behandeln zu lassen.«
    »Und?
Hat
sie sich überzeugen lassen?«
    »Ja. Sie ist tatsächlich ein paar Tage später zu mir in die Praxis gekommen.«
    Er schien nicht recht zu wissen, wie er weitererzählen sollte. Der Wind umwehte uns unangenehm kalt und wie auf ein geheimes Kommando wandten wir uns um und gingen zurück in den Schutz der Hecken. Er sah traurig aus oder nachdenklich, ich wusste es nicht. Ich wollte nicht zu neugierig sein, doch die Frage, die ich eigentlich loswerden wollte, die Frage nach Erna, erschien mir irgendwie taktlos und grob. Also fragte ich stattdessen: »Und ist das Knie wieder heil geworden?«
    »Ja«, entgegnete er leise. »Am Ende war das Knie wieder heil und meine Beziehung zu Erna kaputt.«
    Er schwieg erneut, sann offenbar nach, den Blick nach innen gerichtet.
    »Ihre Mutter und ich, das war   … wirklich Liebe. Für mich eine große Liebe. Ich hatte schon nicht mehr geglaubt, sie je erleben zu dürfen. Noch dazu in meinem Alter.«
    »Sie haben meine Mutter kennengelernt und deswegen die Beziehung zu Erna beendet?« Nun war sie doch heraus, die Frage.
    »Das hört sich so schäbig an«, sagte er. »Und wahrscheinlich war es das auch. Und so hopplahopp. Aber   … das war ein langsames Herantasten, ein Prozess, der da in Gang kam. Am Anfang haben wir zu dritt etwas unternommen. Es war   … ganz unglaublich, was da mit mir   … mit uns   … passierte. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass mir das je passieren würde, noch dazu im Herbst des Lebens.«
    »Sie und Mutter und Erna waren zusammen

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