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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht zugeben wollte) in ihn verliebt hatte. Enttäuscht, weil ich wohl nicht drum herumkommen würde, mein Päckchen Schuld am Freitod meiner Mutter bis an mein Lebensende mit mir herumzutragen.
    »Und wie hat Sartorius reagiert?«
    »Das war das eigentlich Erstaunliche: Er hat erst einmal gar nicht reagiert. Ich meine, er war sehr höflich und er hörte sich die ganze Geschichte an. Aber er sagte kein einziges Wort. Ich weiß noch, dass ich dachte, er muss ein guter Arzt sein, diese Gabe zuzuhören haben viele nicht, und ich weiß, wovon ich spreche. Er ließ sich auch bei diesem ersten Gespräch auf keine Stellungnahme ein. Er reagierte weder ablehnend noch gab er Lilli das Gefühl, ihr zu glauben. Er sagte nur, er müsse darüber nachdenken, das verstünden wir sicher. Und dann hat Lilli ihm eine Kopie des Manuskripts zu lesen gegeben.«
    »Wie bitte?«
    »Lilli hat Roman Sartorius das Manuskript in Kopie überlassen. Immerhin geht es darin auch um seinen Vater. Um das, was Heinrich Sartorius getan hat.«
    »Sie meinen, Roman Sartorius hat das Buch gelesen?«
    »Aber ja. Er hat alles erfahren. Und am nächsten Tag trafen wir ihn erneut.«
    »Also kam es zu mehreren Treffen?«
    »Zu zweien.«
    »Und dann?«
    »Er war, wie soll ich sagen   … wie ausgewechselt: sehr distanziert, geradezu abweisend. Und als Lilli ihm dann von ihren Plänen erzählte, das Buch zu veröffentlichen, die Fotos und die Niederschriften der Experimente   …«
    »Nun, ich habe tatsächlich den Anruf eines Verlags erhalten.«
    »Sehen Sie!«
    »Und wie reagierte Sartorius auf diese Eröffnung?«
    »Er war sehr ungehalten, das können Sie sich ja denken. Er sagte jedenfalls, das werde auf keinen Fall geschehen, er werde es zu verhindern wissen.«
    »Sagte er auch, wie?«
    »O ja, er sprach davon, die Angelegenheit einem Rechtsanwalt zu übergeben und eine Unterlassungsklage anzustrengen.«
    »Und Mutter? Wie hat sie reagiert?«
    »Sie hat, um es mal so zu sagen, aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht. Sie geriet außer sich und beschimpfte Sartorius als verkappten Nazi-Kollaborateur, sie sagte, dass es genau an Leuten wie ihm gelegen habe, dass nach dem Krieg so viele dieser Schergen ungeschoren davonkommen konnten. Er sei feige und sie könne sich nicht erklären, warum er nicht wolle, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Schließlich sei es auch
ihr
Vater, von dem hier die Rede sei, auch wenn ihr das Wort Vater im Zusammenhang mit so einem Menschen nur schwer über die Lippen käme. Vom Unter-den-Teppich-Kehren würde die Welt jedenfalls nicht besser.«
    Auf einmal fiel mir etwas ein. Etwas, das Roman Sartorius gesagt hatte, das jedoch nicht in dem Manuskript gestanden hatte: »Sagen Sie   … Sartorius hat mir gegenüber behauptet,Angestellte von Hohehorst – und somit auch meine Großmutter, denn sie arbeitete in der Verwaltung des Heims – seien an Zwangsadoptionen beteiligt gewesen. Sie sollen die Identität von Kindern nachhaltig verwischt haben. Wissen Sie etwas darüber?«
    Prohacek sah mich erstaunt an. »Nein. Wie kommt er denn darauf?«
    »Das möchte ich auch wissen«, antwortete ich grimmig. »Wahrscheinlich wollte er mich einfach davon abhalten, die Sache weiterzuverfolgen. Sagen Sie, Herr Dr.   Prohacek, wissen Sie zufällig, ob von den Unterlagen Originale existieren? Und was mit den letzten Seiten in dem Buch ist? Ich habe gesehen, dass der Schluss herausgerissen wurde.«
    Prohacek blieb stehen. Seine gütigen Augen blickten ernst, ernst und auch ein wenig zweifelnd: »Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr erinnern, ob die Unterlagen, die ich gesehen habe, Originale oder Kopien waren. Diese Bilder   …«, er schluckte, »haben mich alles andere vergessen lassen.«
    »Das verstehe ich. Und ich kann einfach nicht glauben, dass sie die an die Öffentlichkeit zerren wollte.« Andererseits   … ich schnaubte verächtlich. Andererseits hätte das doch gut zu ihr gepasst. Die moralische Instanz spielen, sich über andere zum Richter aufschwingen, weil es ihr gerade so in den Kram passte. Aber die eigene Tochter und das, was sie tut, verleugnen!
    Laut sagte ich: »Aber machen wir uns nichts vor: Wenn sie sich wirklich zu diesem Schritt durchgerungen hätte, dann doch wohl nur   … nun   … der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, wäre sie
selbst
gewesen und die Rolle, die sie dann hätte spielen können. Das Rampenlicht und der Wirbel, den sie damit verursachen würde – das hätte ihr

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