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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bekam mir ganz offenbar nicht. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Nackenstütze und schloss die Augen. Dieses Hin und Her der Gedanken ging mir allmählich auf den Wecker. Und dann tauchte plötzlich ein ganz anderes Bild auf. Eines, das in den letzten Tagen in den unmöglichsten Momenten darauf lauerte, sich mir zu zeigen, und alles andere verdrängte: der Kerzenschimmer auf Romans Haut an jenem Abend.
    Der Nachmittag ging in den Abend über und ich harrte aus, meinen Blick felsenfest auf die Tür gerichtet. Die Nummer 27 war ein Mehrfamilienhaus, in dem, wie die Briefkästen und Klingelknöpfe verrieten, acht Parteien wohnen mussten. Es war eines von der fanstasielosen Sorte wie die meisten in der Straße, mit Glasbausteinen im Treppenhaus, leicht vergilbten Kunststofffenstern und einer Haustür aus Riffelglas mit schwarzer Griffplatte.
    Sieglinde Sartorius musste um die sechzig herum sein, wenn sie, wie ich erfahren hatte, bei Kriegsende auf die Welt gekommen war. Ich wusste nicht, wie sie aussah, nahm jedoch an, dass sie Ähnlichkeit mit Roman hätte, und vertraute einfach darauf, dass ich sie erkennen würde. Als die Dunkelheit sich endgültig über die Stadt legte und die Straßenlaternen aufflackerten, hatte noch niemand das Haus betreten, der auch nur im Entferntesten Sieglinde Sartorius hätte sein können. Da gab es einen alten Mann mit einem Pudel, der zweimal auftauchte und dessen Hund gleich an der Hausmauer das Bein hob; da war ein Mann um die sechzig in Malerkleidung; eine junge Frau vom Malteser Hilfsdienst, die wohl in Sachen
Essen auf Rädern
unterwegs war; und schließlich ein junger Mann, der einen Kinderwagen ins Treppenhaus verfrachtete. Um 22.00   Uhr knurrte mein Magen so sehr, dass ich es kaum mehr aushielt. Um 22.45   Uhr kam ich darauf, bei Sieglinde Sartoriusanzurufen, doch entweder war sie nicht zu Hause oder bereits im Bett, denn niemand hob ab. Um 23.00   Uhr strich ich die Segel. Ich hatte genug. An einer Imbissbude kaufte ich mir Falafel, verzehrte sie auf der Stelle, kaufte mir mehr davon und fuhr dann zum Hotel, wo ich auf dem Bett halb liegend die zweite Portion verspeiste. Ich stellte mir den Wecker auf fünf und bezog pünktlich um sechs meinen Posten vor dem Haus, diesmal gerüstet mit zwei Jumbobechern Kaffee und drei Croissants. Um sieben Uhr trat der alte Mann aus dem Haus, der Pudel pinkelte an die Hausmauer, die Malteserin hielt vor dem Haus. Um die Mittagszeit knurrte mein Magen erneut und ich fragte mich, worin der Unterschied zwischen meiner Herangehensweise und der professionellen Taktik eines Privatdetektivs bestand. Natürlich wollte ich durch nichts Frau Sartorius’ Wachsamkeit wecken, aber immerhin konnte es doch sein, dass sie sich gerade auf einem dreiwöchigen Urlaub in der Karibik befand. Und so wählte ich ihre Nummer, wartete eine halbe Ewigkeit, und gerade als ich auflegen wollte, hörte ich ein mürrisches »Ja!«
    »Guten Tag, ich, äh   … hätte gerne Irene Maier gesprochen.«
    »Da sind Sie falsch.«
    »Ach ja? Ich habe aber die 59738 gewählt.«
    »Eben. Und das ist meine Nummer.«
    »Wo bin ich denn gelandet? Also nicht bei Irene Maier?«
    »Sagen Sie, sind Sie schwer von Begriff? Ich sagte Ihnen doch   …«
    Wenn es sich bei der Frau am anderen Ende der Leitung tatsächlich um Sieglinde Sartorius handelte, war mit ihr a) definitiv nicht gut Kirschen essen und b) war sie eine harte Nuss zu knacken. Warum, verdammt noch mal, konnte sie nicht einfach beim Aufnehmen des Hörers ihren Namen sagen, so wie alle das taten! Ich versuchte es mit einer List.
    »Hören Sie, ich heiße Manuela Kamposki vom Postamt I.   Wir haben hier ein Paket für Irene Maier in der Gutenbergstraße.Es ist offensichtlich beim Transport beschädigt worden, denn es läuft eine rote Flüssigkeit aus, und nun will ich sie bitten, aufs Hauptpostamt zu kommen.«
    Es knackte. Und dann war es still. Die Frau, wer auch immer sie war, hatte einfach aufgelegt. Und ich war mir fast sicher, dass ich tatsächlich Sieglinde Sartorius am Hörer gehabt hatte. Sie war also zu Hause.
    Am vierten Tag entschied ich, dass die Zeit des Wartens nun vorüber wäre und ich mir die Dame einmal näher ansehen würde. Ich schnappte mir mein Klemmbrett vom Beifahrersitz (ein Relikt, das ich aus meiner Dolmetscherzeit herübergerettet hatte), überquerte mit energischem Schritt die Straße und steuerte auf Sieglinde Sartorius’ Wohnhaus zu. Flüchtig dachte ich daran, dass ja niemand wusste, wo ich

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