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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erzählt? Wir machen den Job gemeinsam. Sonst könnte ich den Termin gar nicht halten.«
    »Na dann.«
    Ich spürte, wie ein heißer Zorn in mir aufwallte. Wie mein Magen sich zusammenkrampfte und Eifersucht in mir hochloderte. Und dann legte ich einfach auf. Ich ging weiter durch die Straßen, die Menschen eilten an mir vorüber, in den Schaufenstern war schon für Fasching dekoriert. Alles erschien so normal, so durchschnittlich, und während ich die Gesichter vorüberziehen sah – eine alte Frau mit einem karierten Kopftuch, zwei Teenager mit oxidblonden Stehhaaren und zahlreichen Metallsteckern in Gesicht und Ohren, ein beinahe kahler Mann in meinem Alter   –, kam mir meine Gemütsverfassung beinahe grotesk vor. War diese
Biene
dabei, sich an Wolf heranzumachen? Oder lief da vielleicht sogar schon was? Und ich Kamel hatte insgeheim noch an ein gemeinsames Kind gedacht! Der Mann aus dem Park fiel mir wieder ein und ich fühlte mich auf einmal elend und klein. Wie eine Maus, die sich zum Sterben in eine Ecke zurückzieht. Ich bin dabei überzuschnappen, dachte ich. Und da waren ja auch noch die beiden Autos gewesen, die ich geglaubt hatte hinter mir zu sehen. Du meine Güte! Ich war doch nicht in Harlem oder Johannesburg, ich lebte in einer ziemlich spießigen Kleinstadt, und in den Zeitungen wurde höchstens mal von einer Beziehungstat berichtet oder von einem brennenden Dönerstand, dessen Besitzer die Schwester von irgendwem beleidigt hatte!
    Bei einer Bäckerei machte ich halt, kaufte zwei Schokocroissants und einen Riesenbecher Milchkaffee und stellte mich an einen der Stehtische im hinteren Bereich. Ich zog einen Zettel und einen Stift aus meiner Tasche, biss in das erste Croissant, dass die Krümel mir nur so auf die Jacke rieselten, und begann einen Einkaufszettel fürs Abendessen zu schreiben. Seit WolfsAbgang nach Bad Tölz und meiner »letzten Zigarette« am Abend davor hatte ich darauf geachtet, es mir selbst schön zu machen. Mein Verwöhnprogramm war in erster Linie ein Ablenkungsmanöver und es bestand zum einen aus zeitaufwendigen Sitzungen in der Badewanne mit sündhaft teuren Badelotionen und Masken und dem Konsumieren von Hörbüchern und Prosecco. Zum anderen hielt ich mich an das Motto, dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhalten. Ich bekochte mich selbst regelmäßig und machte daraus eine Art Zeremonie – kaufte immer nur genau die Zutaten für das Gericht, das ich kochen wollte, und trank schon während des Putzens und Schneidens, des Waschens und Hackens von dem gut gekühlten Pinot Grigio, den ich für mich entdeckt hatte. Manchmal war es auch ein Chardonnay. Mir war klar, dass es sich bei alldem nur um Suchtverlagerung handelte. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken daran, dass die meisten trockenen Alkoholiker zu rauchen begannen wie die Schlote. Ich würde wahrscheinlich fett werden wie ein Klops.
    Für heute hatte ich jedenfalls Zitronenrisotto, danach Rucolasalat mit hauchdünnen Grana-Parmesanscheiben und schwarzen Oliven und danach Curryhähnchen mit Paprikagemüse geplant. Vielleicht würde ich zur Feier des Tages auch einen neuen Wein probieren. Was es zu feiern geben könnte, müsste sich noch herausstellen. Ich schrieb Weißwein mit einem Fragezeichen dahinter. Nach Kaffee und Croissants machte ich noch einen Zwischenstopp im Geschäft, ging mit Sonja die Bestellungen durch, brachte John ein paar neue Tapetenmuster vorbei und kehrte dann, wieder einigermaßen im Gleichgewicht, nach Hause zurück. Sollen sie in Tölz doch gemeinsam um ihre Orgel summen, so lang sie wollen, dachte ich grimmig.
    Aber egal, wie sehr ich mich darum bemühte, mir selbst Mut zuzusprechen, auf dem Nachhauseweg drehte ich mich doch immer wieder um. Als ich vor der Wohnung ankam, blieb ich auf dem Bürgersteig stehen, kramte umständlich inmeiner Tasche und blickte dabei möglichst unauffällig in alle Richtungen. Als ich nichts und niemanden Ungewöhnlichen entdeckte, zog ich rasch den Briefkastenschlüssel aus meiner Tasche, holte die Post aus dem Kasten und ging ins Haus. In der Wohnung stellte ich mich hinters Fenster und scannte noch einmal die Straße ab. Nichts. Erschöpft von meinen eigenen Gedanken begann ich, mit fahrigen Bewegungen die Post durchzublättern. Ich dachte kurz daran, doch noch einmal bei Wolf anzurufen. Ihm alles zu sagen. Ihn zu bitten, zu mir zu kommen, einfach so. Doch dann schimpfte ich mit mir selbst wegen dieser dummen Idee und warf einen Blick auf einen

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