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Herbstwald

Herbstwald

Titel: Herbstwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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hatte.
    Die Angestellte vom Sozialamt hatte rote Wangen bekommen.
    Außer dem grauen Schreibtisch, der auf grauem Linoleum stand, und zwei Aktenregalen, in denen hunderte von orangefarbenen Ordnern hingen, gab es nichts, worauf man seine Aufmerksamkeit richten konnte.
    Davídsson hatte der Sachbearbeiterin seinen Dienstausweis gezeigt und ihr kurz erklärt, weshalb er hier war. Am liebsten hätte er gesagt, ›weshalb er hier eineinhalb Stunden gewartet hatte‹, aber er ließ es bleiben.
    »Wir haben eine Akte über Frau Aigner«, sagte sie schließlich. »Aber ich kann sie Ihnen nicht geben.«
    »Ist sie nicht am Platz?«
    »Ich brauche dazu eine richterliche Erlaubnis.«
    »Es muss schnell gehen. Schließlich müssen wir einen Mord aufklären«, Davídsson bemühte sich ruhig zu bleiben, aber er spürte, wie seine Worte schneller wurden.
    »Ja.«
    »Ja?«
    »Ich brauche den Beschluss eines Richters.«
    »Seit mehr als einer Stunde warte ich darauf, dass Sie mir das sagen.«
    »Wenn Sie sich bei meinem Vorgesetzten beschweren wollen – wir haben gerade seinen Geburtstag gefeiert – dann wissen Sie ja, wo sein Büro ist. Ich kann Ihnen jedenfalls nicht weiterhelfen.«

    Ólafur Davídsson ging durch die Augsburger Altstadt zu seinem Auto, das er bei der Fuggerei stehen gelassen hatte. Das Sozialamt war nur wenige Seitenstraßen entfernt. Die nass-kalte Luft hielt die Menschen gefangen. Sie hatten ihre Mäntel bis zum Hals zugeknöpft und beeilten sich, in die warmen Häuser zu kommen. Für ihn war das Wetter längst nicht so unangenehm wie für die anderen, aber er fühlte sich jetzt trotzdem nicht wohl. Es war, als sei er ein Obdachloser geworden. Das Hotelzimmer weckte in ihm keine Heimatgefühle, und der abgebrochene Urlaub verstärkte das Gefühl noch.
    Er sah auf die Uhr seines Handys und entdeckte einen unbeantworteten Anruf. Es war Lilian Landhäuser.
    Davídsson drückte die Rückruftaste und wartete, bis sich Landhäuser meldete.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich so schnell zurückrufen würden«, sagte sie. Aus dem Hintergrund hörte Davídsson Musik, aber er konnte nicht erkennen, welche Richtung es war.
    »Was gibt es?«
    »Wir bekommen die Akte. Sie müssen nicht mehr zum Sozialamt gehen.«
    »Was?« Er klang nicht aggressiv, sondern ungläubig.
    »Ich habe gerade mit jemandem von der Bezirksregierung gesprochen. Die haben die Aufsicht über alle Sozialämter in Schwaben. Der Sachgebietsleiter will uns die Akte besorgen. Sie müssen sich also nicht mit irgendeinem Sachbearbeiter herumschlagen.«
    »Ich war gerade da.«
    Für einen Moment blieb die Leitung still.
    »Dann haben Sie die Akte schon?«, fragte sie schließlich, und es klang völlig unschuldig.
    »Nein. Ich gehe jetzt ins Hotel. Wir sehen uns dann morgen.« Davídsson beendete das Gespräch, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten. Die Wut war schlagartig zurückgekehrt.
    Die Hotelbar war fast leer. An einem der Tische in der Nähe der beiden Aufzüge saßen zwei ältere Herren in dunklen Anzügen und starrten auf ein Notebook.
    Davídsson setzte sich auf einen der schwarzen Lederhocker an der runden Theke und bestellte ein frisch gezapftes Bier. Dann erst fiel ihm die Musik auf, die durch die Bar glitt und über den harten Marmorboden Richtung Rezeption getragen wurde.
    Lilian Landhäuser setzte sich neben ihn.
    Er hatte sie nicht gesehen. Sie musste hinter einem der Pflanzenarrangements gesessen haben. Die Musik war die gleiche, die er wenige Minuten zuvor während des Telefongesprächs mit ihr im Hintergrund gehört hatte. Dezente Gleichförmigkeit, die auch aus Kaufhauslautsprechern stammen konnte.
    »Ich war schon hier, als Sie mich zurückgerufen haben«, sagte sie.
    »Ja.«
    Sie nahm die knallig rote Cocktailkirsche mit ihren Lippen von dem Holzstäbchen, das in einer Piña Colada gesteckt hatte, und aß sie. Für andere mochte das nach einem Hauch von Erotik aussehen, für Ólafur Davídsson tat es das nicht.
    Sein Ärger war noch nicht verraucht.
    »Ich hätte gerne mit jemandem vom Sozialamt über Catharina Aigner gesprochen und nicht einfach nur ihre Akte gelesen.« Er nahm einen Schluck vom Bier. »Manchmal steht nicht alles in den Akten«, sagte er schließlich.
    »Wir können uns immer noch mit dem Sachbearbeiter unterhalten.« Sie rührte mit dem Holzstäbchen in ihrem Cocktail, und für einen Moment sah es so aus, als täte es ihr leid, die Akte ohne Davídssons Wissen angefordert zu haben.
    Er stellte sein Glas auf

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