Hercule Poirot schläft nie
konnte kein benutztes Löschblatt finden – und das kam mir sehr bedeutsam vor. Es schien, als habe es jemand absichtlich weggenommen. Aber warum? Weil sich Schriftzüge darauf befanden, die man mit Hilfe eines Spiegels leicht hätte entziffern können. Es gab jedoch noch ein zweites auffallendes Detail im Zusammenhang mit dem Schreibsekretär. Vielleicht erinnern Sie sich noch ungefähr an die Anordnung der Gegenstände darauf, Japp? Löschpapier und Tintenfass in der Mitte, Fede r schale zur Linken, Kalender und Gänsekiel zur Rechten. Eh bien? Sehen Sie es denn nicht? Sie erinnern sich, ich habe die Gänsefeder untersucht; sie diente lediglich zur Zierde und war unbenutzt. Ah, Sie begreifen noch immer nicht? Ich wiederhole: Löschpapier in der Mitte, Fede r schale zur Linken – zur Linken, Japp. Aber findet man für gewöhnlich die Federschale nicht zur Rechten, griffbereit für die rechte Hand? Ah, jetzt geht Ihnen ein Licht auf, nicht wahr? Die Federschale zur Linken – die Armban d uhr am rechten Handgelenk – das verschwundene Lösc h blatt und etwas, das nachträglich in das Zimmer hinei n praktiziert wurde – der Aschenbecher mit den Zigarette n stummeln!
Die Luft in jenem Zimmer, Japp, roch frisch und rein, wie in einem Raum, in dem das Fenster offen gewesen war und nicht die ganze Nacht über geschlossen… Und da erstand vor meinen Augen ein Bild.«
Er drehte sich mit einem Ruck zu Jane um und sah ihr voll ins Gesicht.
»Ein Bild von Ihnen, Mademoiselle, wie Sie mit dem Taxi vorfahren, wie Sie bezahlen und die Treppe hinau f eilen und dabei vielleicht rufen: ›Barbara‹, und wie Sie dann die Tür öffnen und Ihre Freundin tot auf dem B o den liegt, die Pistole in der Hand – in der linken Hand natürlich, denn Ihre Freundin war Linkshänderin, und deshalb ist die Kugel auch in die linke Schläfe eingedru n gen. Auf dem Schreibsekretär liegt ein Abschiedsbrief an Sie. Darin schreibt sie Ihnen, was sie dazu getrieben hat, sich das Leben zu nehmen. Es war, stelle ich mir vor, ein sehr bewegender Brief. Eine sanfte, junge, unglückliche Frau, durch Erpressung in den Tod getrieben…
Da kam Ihnen, stelle ich mir vor, blitzartig eine Idee. Das Ganze war die Schuld eines bestimmten Mannes. Sollte er dafür seine Strafe bekommen – seine gerechte und angemessene Strafe! Sie nehmen die Pistole, wischen sie ab und legen sie der Toten in die rechte Hand. Sie nehmen den Abschiedsbrief und reißen das oberste Löschblatt ab, mit dem der Brief gelöscht worden ist. Sie gehen hinunter, zünden den Kamin an und werfen beides ins Feuer. Dann bringen Sie den Aschenbecher nach o ben – um den Eindruck zu erwecken, dass Ihre Freundin dort mit einem Besucher zusammensaß – und nehmen auch das abgesplitterte Stück des Manschettenknopfes mit, das Sie auf dem Fußboden gefunden haben. Ein glücklicher Umstand, der Ihrer Ansicht nach die Bewei s kette schließen wird. Dann verriegeln Sie das Fenster und schließen die Tür ab. Es darf nicht der Verdacht au f kommen, dass Sie sich in dem Zimmer zu schaffen g e macht haben. Die Polizei muss es so sehen, wie es ist, daher suchen Sie nicht Hilfe bei den Nachbarn, sondern rufen sofort das Polizeirevier an.
Und so geht es weiter. Sie spielen Ihre Rolle kaltblütig und wohl überlegt. Sie lehnen es anfangs ab, etwas zu sagen, erwecken jedoch gleichzeitig geschickt Zweifel an einem Selbstmord. Später führen Sie uns sehr bereitwillig auf die Spur von Major Eustace…
Ja, Mademoiselle, ein sehr klug eingefädelter Mordplan – denn darum handelt es sich. Um den versuchten Mord an Major Eustace.«
Jane Plenderleith sprang auf.
»Nicht Mord – Gerechtigkeit! Der Mann hat die arme Barbara in den Tod gehetzt! Sie war so lieb und hilflos. Sehen Sie, die Arme hatte sich gleich zu Anfang, als sie damals nach Indien kam, in einen Mann verliebt. Sie war erst siebzehn, und er war um Jahre älter und außerdem verheiratet. Sie bekam ein Kind. Sie hätte es in ein Heim geben können, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie fuhr weg, irgendwohin, wo sie keiner kannte, und als sie zurückkam, nannte sie sich Mrs Allen. Dann starb das Kind. Sie kehrte nach England zurück und verliebte sich in Charles – diesen eitlen, aufgeblasenen Dummkopf! Sie betete ihn an – und er nahm ihre Anbetung als etwas Selbstverständliches hin. Wäre er eine andere Art von Mensch gewesen, so hätte ich ihr geraten, ihm alles zu erzählen. Aber so beschwor ich sie, den Mund zu halten. Schließlich
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