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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Er stand vor einem tiefen Fauteuil mit verblichenem Bezug. Plötzlich stieß er hervor: «Das ist ihr Stuhl – hier saß sie immer, in diesem Stuhl. Nur der Satin ist ein wenig verschossen.»
    Hilda runzelte leicht die Stirn.
    «Ich verstehe. Aber komm jetzt, David. Es ist kalt hier.»
    Doch David schien sie nicht zu hören. Er sah sich um.
    «Ja, hier saß sie meistens. Ich weiß noch, wie ich auf jenem Schemel dort saß, wenn sie mir vorlas. Jack, der Ri e sentöter – ja, das war es, das hat sie mir vorgelesen, als ich etwa sechs Jahre alt war.»
    Hilda schob ihre Hand unter seinen Arm.
    «Komm jetzt wieder ins Wohnzimmer, Lieber. In diesem Zimmer ist ja nicht einmal eine Heizung.»
    Er wandte sich gehorsam um, aber sie fühlte, dass er am ganzen Leib zitterte. «Genau wie damals», murmelte er, «genau wie damals. Als wäre die Zeit stillgestanden…»
    Hilda war besorgt; aber sie sprach fröhlich und entschlossen weiter. «Wo nur die anderen alle stecken? Es muss doch schon Teezeit sein.»
    David machte sich frei und öffnete die Tür zu einem anderen Zimmer. «Da drinnen war ein Klavier. Ja, da steht es noch. Ob es auch noch klingt?»
    Er setzte sich davor, öffnete den Deckel und spielte eine Tonleiter. «Tatsächlich! Es scheint sogar gestimmt worden zu sein.» Er begann zu spielen. Sein Anschlag war weich und voll.
    «Was spielst du da?», fragte Hilda. «Es kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, was es ist.»
    «Ich habe es seit vielen Jahren nicht mehr gespielt. Sie hat es besonders geliebt. Eines von Mendelssohns Liedern ohne Worte.»
    Die süße, fast zu süße Melodie flutete durch den Raum.
    Plötzlich ließ David die Hände in schrillem Missakkord auf die Tasten fallen. Er stand auf. Sein Gesicht war totenblass, und er zitterte.
    «David!», sagte Hilda beschwörend. «David!»
    «Lass nur, es ist nichts – wirklich nicht.»
     
    Die Türglocke schrillte. Tressilian stand in der Küche von seinem Stuhl auf und ging gemessenen Schritts zum Eingang.
    Die Glocke schrillte noch einmal. Tressilian runzelte die Stirn. Durch die Milchglasscheibe erblickte er die Silhouette eines Mannes im Schlapphut. Tressilian fuhr sich mit der Hand über die Augen. Es war gespenstisch. Alles schien sich zweimal abzuspielen. Das hatte er doch bereits einmal erlebt, bestimmt…
    Er schob den Riegel zurück und öffnete die Türe. Da zerbrach der Zauber. Der Mann sagte laut und deutlich:
    «Wohnt hier Mr Simeon Lee? Ich möchte ihn sprechen.» Seine Stimme rief eine Erinnerung in Tressilian wach. Sie glich derjenigen seines Herrn, als dieser in alten Tagen nach England zurückgekommen war.
    Er schüttelte zweifelnd den Kopf. «Mr Lee ist invalide, Sir. Er empfängt nicht oft Besuche. Wenn Sie –»
    Der Fremde unterbrach ihn, indem er einen Briefumschlag hervorzog und dem Butler aushändigte. «Geben Sie das bitte Mr Lee.»
     
    Simeon Lee entnahm dem Umschlag einen einfachen Bogen Papier. Er sah erstaunt aus, aber er lächelte.
    «Das ist ja herrlich», sagte er. Und zum Butler gewandt: «Führen Sie Mr Farr sofort herauf, Tressilian. Eben habe ich an Ebenezer Farr gedacht. Er war mein Geschäftspartner unten in Kimberley. Und jetzt taucht plötzlich sein Sohn hier auf.»
    Tressilian verschwand und meldete kurze Zeit später Mr Farr.
    Stephen Farr trat nervös ein, versuchte das aber durch ein betont forsches Gehabe zu verstecken. Sein leichter Südafrika-Akzent klang noch deutlicher durch als zuvor.
    «Ich freue mich, Sie zu sehen», rief ihm Simeon Lee entgegen. «Also Sie sind Ebs Sohn?»
    Stephen lachte verlegen. «Mein erster Besuch im Mutterland. Vater hat mir immer gesagt, ich sollte Sie aufsuchen, wenn ich einmal herüberkäme.»
    «Bravo! Darf ich bekannt machen? Meine Enkelin – Pilar Estravados.»
    «Sehr erfreut», sagte Pilar unbefangen.
    Raffinierte kleine Hexe, dachte Farr. Sie ist überrascht, mich wiederzusehen, aber sie kann es großartig verbergen.
    Er sagte bedeutungsvoll: «Ich bin glücklich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Estravados.»
    «Setzen Sie sich, und erzählen Sie mir von sich», befahl der alte Lee. «Bleiben Sie lange in England?»
    «Nun, ich werde mir Zeit lassen, wenn ich jetzt schon mal hier bin.» Er lachte und warf den Kopf zurück.
    «Da haben Sie Recht. Sie müssen vorerst eine Weile bei uns bleiben.»
    «Aber Sir, ich kann doch nicht einfach so hereinschneien. Es ist schließlich Weihnachten und…»
    «Sie werden Weihnachten bei uns verbringen – wenn Sie nichts

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