Hercule Poirots Weihnachten
wünsche, dass nach dem Mittagessen alle zu mir kommen. Alle, verstanden? Und noch etwas: Sie werden die Herrschaften heraufführen, und sobald Sie ungefähr in der Mitte des Korridors angekommen sind, werden Sie sich irgendwie bemerkbar machen, husten, etwas rufen, was Sie wollen. Ist das klar?»
«Gewiss, Sir.» Horbury ging die Treppe hinunter. Dort sagte er zu Tressilian: «Wenn Sie mich fragen – das wird ein schönes Weihnachtsfest werden!»
«Was wollen Sie damit sagen?», fragte der alte Diener scharf.
«Na, warten Sie’s ab. Heute ist Heiliger Abend. Aber die Stimmung im Haus ist gar nicht danach.»
Als sie ins Zimmer kamen, war Simeon gerade am Telefon; er winkte ihnen, einzutreten.
«Setzt euch! Ich bin gleich fertig.» Dann telefonierte er weiter: «Ist dort Charlton? Hier spricht Simeon Lee. Ja, nicht wahr? Ja. Nein, ich möchte nur, dass Sie ein neues Testament für mich aufsetzen. Jawohl, die Verhältnisse haben sich geändert, so dass mein erstes Testament überholt ist. Nein, nein, so eilt es auch wieder nicht. Weihnachten will ich Ihnen doch nicht verderben. Sagen wir, am zweiten Weihnachtstag, ja? Oder am Tag danach, wie Sie wollen. Kommen Sie zu mir, dann besprechen wir alles. Nein, keine Angst, ich werde nicht vorher sterben.»
Er legte den Hörer auf und sah seine Familie, alle acht Anwesenden, der Reihe nach an. Dann lachte er und sagte:
«Ihr seht alle so verdattert aus! Was ist denn los?»
«Du hast uns rufen lassen, Vater –», begann Alfred, doch Simeon unterbrach ihn sofort.
«Ja, richtig. Aber es ist eigentlich nichts Wichtiges. Ich bin nur müde und möchte nach dem Abendessen allein sein. Ich will früh zu Bett gehen, damit ich morgen zum Fest ganz frisch bin. Eine großartige Einrichtung, Weihnachten. Fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl, nicht wahr, Magdalene?»
Magdalene Lee fuhr zusammen. Ihr dümmlicher kleiner Mund klappte auf und schloss sich wieder. Dann sagte sie: «O ja.»
Simeons Augen schweiften zu George.
«Ich will zwar nicht von unerfreulichen Dingen reden, aber ich fürchte, George, dass ich deinen Zuschuss ein wenig werde beschneiden müssen. Mein Haushalt wird mich in Zukunft etwas teuer zu stehen kommen.»
George wurde dunkelrot. «Aber Vater! Das kannst du doch nicht tun!»
«Ach, glaubst du?», fragte Simeon sanft.
«Meine Auslagen sind sehr groß. Ich weiß schon jetzt manchmal kaum, wie ich mit meinem Geld zurechtkommen soll. Ich muss mich an allen Ecken und Enden einschränken.»
«Überlass die Sparsamkeit doch deiner Frau», riet der alte Lee lächelnd. «Frauen sind so geschickt im Sparen. Ihnen fallen oft Sparmöglichkeiten ein, die ein Mann einfach übersieht. Zum Beispiel könnte sie ihre Kleider selber machen. Meine Frau hat alles selber gemacht, war sehr geschickt in allen Handarbeiten – eine gute Frau war sie, wirklich, nur langweilig -»
David sprang auf. «Meine Mutter -»
«Setz dich!», sagte Simeon barsch. «Deine Mutter hatte ein Hasenherz und ein Hühnerhirn. Und ich glaube, beides hat sie euch allen vererbt.» Er erhob sich plötzlich. Auf seinen Wangen bildeten sich rote Flecken, und seine Stimme klang nun laut und schrill. «Keiner von euch ist einen Penny wert! Keiner! Ich habe so genug von euch allen! Schwächlinge seid ihr – alberne Schwächlinge! Pilar ist mehr wert als zwei von euch zusammengenommen. Ich schwöre zu Gott, dass ich irgendwo auf der Welt einen besseren Sohn habe, auch wenn er vielleicht nicht im rechten Ehebett geboren ist.»
«Jetzt ist es genug, Vater!», rief Harry.
Er war aufgesprungen, und über sein sonst heiteres Gesicht legte sich Zornesröte.
«Das alles gilt ebenso gut für dich!», schnauzte Simeon ihn an. «Was hast du denn jemals getan? Mich dauernd um Geld angewinselt! Mich aus allen vier Himmelsrichtungen angebettelt! Ich sag euch noch einmal: Ich habe genug von euch allen! Hinaus!»
Der alte Lee sank in seinen Stuhl zurück. Langsam, eines nach dem anderen, verließen seine Kinder das Zimmer. George war rot und entsetzt, Magdalene sah erschrocken aus, David war leichenblass und zitterte, Harry trug den Kopf hoch, und Alfred schob sich wie ein Traumwandler Schritt für Schritt vorwärts. Lydia folgte ihm, sicher, gefasst, wie immer. Nur Hilda blieb auf der Schwelle stehen und ging dann zu ihrem Schwiegervater zurück. Die Art, wie sie ruhig und unbeweglich dicht vor seinem Sessel stehen blieb, hatte etwas Drohendes.
«Als dein Brief kam», sagte sie, «habe ich wirklich
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