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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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echt», sagte sie schließlich. «Wahrscheinlich wollte er ein neues Testament aufsetzen – aber er freute sich darüber, diese Absicht vor allen zu unterstreichen.»
    «Madame», sagte Poirot feierlich, «ich bin nicht offiziell hier, und meine Fragen entsprechen vielleicht nicht denjenigen, die ein englischer Kriminalbeamter Ihnen stellen würde. Aber ich wüsste gerne, ob Sie sich Gedanken darüber machten, wie dieses neue Testament ausgefallen wäre. Verstehen Sie mich bitte recht, ich frage nicht, ob Sie das wissen, sondern nur, wie Sie darüber denken. Frauen bilden sich im Allgemeinen sehr schnell eine eigene Meinung, Dieu merci! »
    Hilda Lee lächelte ihn an.
    «Nun, meine persönliche Meinung kann ich Ihnen sagen. Die Schwester meines Mannes, Jennifer, heiratete einen Spanier, Juan Estravados. Ihre Tochter, Pilar, ist vor wenigen Tagen hier angekommen. Sie ist ein reizendes Mädchen, und vor allen Dingen ist sie das einzige Enkelkind in der Familie. Der alte Mr Lee war begeistert von ihr und liebte sie heiß. Meiner Ansicht nach wollte er ihr testamentarisch eine größere Summe vermachen, nachdem er sie bis dato in seinem letzten Willen kaum oder gar nicht bedacht hatte.»
    «Kannten Sie Ihre Schwägerin?»
    «Nein. Ihr Mann starb unter tragischen Umständen bald nach ihrer Hochzeit. Jennifer selber starb vor einem Jahr. Pilar blieb als Vollwaise zurück. Deshalb hatte Mr Lee sie eingeladen, künftig bei ihm hier in England zu leben.»
    «Und haben die übrigen Familienmitglieder die neue Hausgenossin gerne willkommen geheißen?»
    «Ich glaube, dass alle sie gut leiden können», sagte Hilda ruhig. «Es ist beglückend, einen jungen, lebensvollen Menschen im Haus zu haben.»
    «Und Pilar, scheint es ihr hier zu gefallen?»
    «Ich weiß nicht recht. Es muss ihr doch recht kalt und fremd vorkommen. Das Mädchen ist im Süden, in Spanien, aufgewachsen.»
    «Gerade jetzt dürfte es ja in Spanien auch nicht angenehm sein», bemerkte Johnson sachlich. «Und nun möchten wir Ihren Bericht der heutigen Auseinandersetzung hören, Mrs Lee.»
    «Entschuldigen Sie», murmelte Poirot, «ich bin vom Thema abgewichen!»
    «Nachdem mein Schwiegervater sein Telefongespräch beendet hatte, sah er uns alle an und bemerkte lachend, wir sähen so verdattert aus. Dann sagte er, er sei müde und werde früh zu Bett gehen. Es solle niemand mehr heraufkommen heute Abend. Er wolle zu Weihnachten ausgeruht und frisch sein, oder so ähnlich.» Hier machte sie eine Pause und dachte angestrengt nach. «Und dann sagte er irgendetwas wie – es sei wichtig, dass eine große Familie zusammen Weihnachten feiere, und dann sprach er von Geldsachen. Er betonte, dass ihn die Führung seines Haushalts in Zukunft bedeutend mehr kosten werde, und stellte George und Magdalene in Aussicht, dass sie sparsamer werden müssten. Magdalene sagte er, sie könnte sich ihre Kleider selber machen. Eine reichlich altväterische Idee, finde ich, und ich verstehe, dass Magdalene sich über diesen Vorschlag aufregte. Aber er hob besonders hervor, wie geschickt seine Frau mit Nadel und Faden gewesen sei.»
    «Hat er seine Frau noch sonst wie erwähnt?», fragte Poirot. Hilda errötete.
    «Er machte eine verächtliche Bemerkung über ihre Intelligenz. Mein Mann hat seine Mutter abgöttisch geliebt, und diese Anspielung brachte ihn sehr auf. Und dann schrie Mr Lee uns plötzlich alle an. Ich verstehe natürlich, was ihn so sehr erregte –»
    «Was denn?», fiel ihr hier Poirot ins Wort.
    Sie richtete ihren ruhigen Blick auf ihn.
    «Er war enttäuscht, dass er keine Enkel hatte, die den Namen Lee weitertragen konnten. Ich glaube, dass das seit langem in ihm bohrte, und plötzlich konnte er nicht mehr an sich halten. Er schrie seine Söhne an, sie seien alle alte Waschweiber. Das ungefähr war der Sinn seiner Worte. Er tat mir Leid, weil ich fühlte, wie tief sein Stolz durch das Fehlen einer Nachkommenschaft verletzt war. Und dann gingen wir alle aus dem Zimmer.»
    «Damals haben Sie ihn also zum letzten Mal gesehen?»
    Sie nickte.
    «Wo hielten Sie sich auf, als der Mord geschah?»
    «Ich war mit meinem Mann im Musikzimmer. Er spielte für mich.»
    «Und dann?»
    «Dann hörten wir, dass oben Möbelstücke umfielen und Porzellan zersplitterte – einen schrecklichen Lärm. Und dann der grauenvolle Schrei, als man ihm die Kehle durchschnitt.»
    «War der Schrei so grauenvoll?», fragte Poirot. «Erinnerte er Sie –», er besann sich eine Weile, «an eine Seele

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