Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Dämonismen, alle
Romantik und alle Steppenwölfigkeit auf seine alleinige Konstitution
beziehen. Mußte er die Untergangsparole an seine eigene Kappe
heften; mußte er alle feindlichen Lanzen in sich vereinigen.
Der Erziehungskonflikt ist in Deutschland traditionell und nicht nur
im Vaterhause begründet. Die Selbstgesetzlichkeit des einzelnen ist
oberstes, historisches Gebot. Ihr größtes Beispiel ist Luther. In der
Philosophie haben Fichte und Kant, in der Dichtkunst Goethe, Schiller
und Herder die Selbstbestimmung als Ideal verkündet. Dieser
»Eigensinn« ist mehr als ein Philosophem; er ist ein Zug des
deutschen Wesens selbst, als welches es schon in der Kindheit, und
gerade in ihr, keinerlei Begrenzung anzuerkennen vermag. In
Rauschzuständen ohne Maß bewegt sich unser Wesen, und wo es
gestört wird, greift es zum Widerspruch oder zum tödlichen
Ausbruch. Es ist jene Traumverschlungenheit und mystische
Musikalität, die man zum typischen Merkmal des deutschen Helden
gestempelt hat; ein nach innen gewandtes Begehren und Sehnen,
das in die sichtbare Welt schwer überzuleiten, das schwer zu erlösen
ist. Bis zum Wahn und zur Selbstaufhebung füllt es die inneren
Räume.
Beim jungen Hesse ist diese Anlage in einer Schärfe und einer
Einseitigkeit vorhanden, wie bei wenigen je; nur blieb sie in den
Schriften lange Zeit verborgen. Dieser Zug geht bei ihm bis zur
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striktesten Ablehnung der werbenden Außenwelt; bis zur
Selbstmordneigung und zum Aufsichnehmen der Neurose. Derselbe
Charakter aber ist es, der gegen die öffentliche Meinung während
des Krieges auftrat und der das gleichgerichtete Werk des Schreibers
dieser Zeilen in aller Öffentlichkeit verteidigt hat. Und dieser
Charakter ist es zu guter Letzt, dem es die Literatur zu danken hat,
wenn Hesse einer merkantilen und mechanisierten Zeit gegenüber,
und zwar trotz gegensätzlicher Entscheidungen eines Nietzsche und
eines Flaubert, an der Befürwortung des Sentiments, der Romantik,
des Unzweckmäßigen festhält, wie nur ein Luther und ein Calvin an
der anima religiosa festgehalten haben.
Der Dichter selbst hat gelegentlich bemerkt, daß diese Art von
»Originalität« und Heldentum, von Glaube an die Neuheit und den
eigenen Sinn, daß sie zwar in den Geschichtsbüchern erlaubt seien,
daß sie aber, wo sie außerhalb sich geltend machen, nicht derselben
Schätzung begegnen. Man antwortet dann mit Hohn und Boykott,
wenn nicht mit Schlimmerem. Ich bin nicht der Meinung, daß die
Autonomie ein gutes Prinzip sei; ich bin aber noch weniger der
Meinung, daß ihre Verherrlichung in den Geschichtsbüchern richtig
sei. Und hier ist eben ein Widerspruch, der durch unsere ganze
Erziehung und Bildung geht. Es ist nicht schwer, das Prinzip der
Selbsterziehung und Selbstbestimmung als unfruchtbar und
verwirrend zu erweisen; denn schließlich vermag sich auch jeder
Appetit und jeder Aufruhr und vermag sich jeder Freibeuter in
Wirtschaft und Handel auf solche Autonomie zu berufen. Die
Konsequenz wäre, daß man jedermann gewähren ließe nach
Gutdünken, aus der Überzeugung, daß dem einen billig sei, was dem
andern recht ist. Die Folge wäre der Verzicht auf jede Kritik und jede
Gebundenheit.
Mir scheint, die eigenen Wege müßten möglich sein ohne den Bruch
mit Schule und Erziehung, und sie müßten möglich sein ohne die
Qual der Vereinsamung. Mir scheint, wenn unsere Väter und
Großväter schon die Autonomie vertraten, so müßten schon sie sich
eben geirrt und auf falschem Wege befunden haben. Wie dem aber
auch sei: Was wir sehen und täglich erleben, ist ein gefährlicher und
unglückseliger Mechanismus. Denn der Ungehorsam des Heroen wird
in der Schule und im Vaterhaus vergöttert; der Schüler aber, der
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diese Aufforderung ernst nimmt, wird gemaßregelt. Schon bei den
Vätern stimmte es nicht; im Staate stimmte es nie. Gleichwohl wird
die strengste Unterordnung, die Vernichtung des »boshaften«
Sonderwillens, der »teuflischen« Rebellion unerbittlich verhängt.
Weder der Sohn, noch der Vater können sich dann auf eine dritte
Instanz, auf eine objektive Welt der Überzeugung und der Sitte, auf
eine unverbrüchliche Tradition des Maßes, der Begütigung und des
Ausgleichs berufen. Keine überlegene Instanz vermag die erregten
Gemüter zu dämpfen und beide in Einklang zu bringen. Ideal und
Wirklichkeit, Geist und Natur, Gesetz und frohe Botschaft, alle die
typisch protestantischen
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