Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
Vom Netzwerk:
Dämonismen, alle
    Romantik und alle Steppenwölfigkeit auf seine alleinige Konstitution
    beziehen. Mußte er die Untergangsparole an seine eigene Kappe
    heften; mußte er alle feindlichen Lanzen in sich vereinigen.
    Der Erziehungskonflikt ist in Deutschland traditionell und nicht nur
    im Vaterhause begründet. Die Selbstgesetzlichkeit des einzelnen ist
    oberstes, historisches Gebot. Ihr größtes Beispiel ist Luther. In der
    Philosophie haben Fichte und Kant, in der Dichtkunst Goethe, Schiller
    und Herder die Selbstbestimmung als Ideal verkündet. Dieser
    »Eigensinn« ist mehr als ein Philosophem; er ist ein Zug des
    deutschen Wesens selbst, als welches es schon in der Kindheit, und
    gerade in ihr, keinerlei Begrenzung anzuerkennen vermag. In
    Rauschzuständen ohne Maß bewegt sich unser Wesen, und wo es
    gestört wird, greift es zum Widerspruch oder zum tödlichen
    Ausbruch. Es ist jene Traumverschlungenheit und mystische
    Musikalität, die man zum typischen Merkmal des deutschen Helden
    gestempelt hat; ein nach innen gewandtes Begehren und Sehnen,
    das in die sichtbare Welt schwer überzuleiten, das schwer zu erlösen
    ist. Bis zum Wahn und zur Selbstaufhebung füllt es die inneren
    Räume.
    Beim jungen Hesse ist diese Anlage in einer Schärfe und einer
    Einseitigkeit vorhanden, wie bei wenigen je; nur blieb sie in den
    Schriften lange Zeit verborgen. Dieser Zug geht bei ihm bis zur

    56
    striktesten Ablehnung der werbenden Außenwelt; bis zur
    Selbstmordneigung und zum Aufsichnehmen der Neurose. Derselbe
    Charakter aber ist es, der gegen die öffentliche Meinung während
    des Krieges auftrat und der das gleichgerichtete Werk des Schreibers
    dieser Zeilen in aller Öffentlichkeit verteidigt hat. Und dieser
    Charakter ist es zu guter Letzt, dem es die Literatur zu danken hat,
    wenn Hesse einer merkantilen und mechanisierten Zeit gegenüber,
    und zwar trotz gegensätzlicher Entscheidungen eines Nietzsche und
    eines Flaubert, an der Befürwortung des Sentiments, der Romantik,
    des Unzweckmäßigen festhält, wie nur ein Luther und ein Calvin an
    der anima religiosa festgehalten haben.
    Der Dichter selbst hat gelegentlich bemerkt, daß diese Art von
    »Originalität« und Heldentum, von Glaube an die Neuheit und den
    eigenen Sinn, daß sie zwar in den Geschichtsbüchern erlaubt seien,
    daß sie aber, wo sie außerhalb sich geltend machen, nicht derselben
    Schätzung begegnen. Man antwortet dann mit Hohn und Boykott,
    wenn nicht mit Schlimmerem. Ich bin nicht der Meinung, daß die
    Autonomie ein gutes Prinzip sei; ich bin aber noch weniger der
    Meinung, daß ihre Verherrlichung in den Geschichtsbüchern richtig
    sei. Und hier ist eben ein Widerspruch, der durch unsere ganze
    Erziehung und Bildung geht. Es ist nicht schwer, das Prinzip der
    Selbsterziehung und Selbstbestimmung als unfruchtbar und
    verwirrend zu erweisen; denn schließlich vermag sich auch jeder
    Appetit und jeder Aufruhr und vermag sich jeder Freibeuter in
    Wirtschaft und Handel auf solche Autonomie zu berufen. Die
    Konsequenz wäre, daß man jedermann gewähren ließe nach
    Gutdünken, aus der Überzeugung, daß dem einen billig sei, was dem
    andern recht ist. Die Folge wäre der Verzicht auf jede Kritik und jede
    Gebundenheit.
    Mir scheint, die eigenen Wege müßten möglich sein ohne den Bruch
    mit Schule und Erziehung, und sie müßten möglich sein ohne die
    Qual der Vereinsamung. Mir scheint, wenn unsere Väter und
    Großväter schon die Autonomie vertraten, so müßten schon sie sich
    eben geirrt und auf falschem Wege befunden haben. Wie dem aber
    auch sei: Was wir sehen und täglich erleben, ist ein gefährlicher und
    unglückseliger Mechanismus. Denn der Ungehorsam des Heroen wird
    in der Schule und im Vaterhaus vergöttert; der Schüler aber, der

    57
    diese Aufforderung ernst nimmt, wird gemaßregelt. Schon bei den
    Vätern stimmte es nicht; im Staate stimmte es nie. Gleichwohl wird
    die strengste Unterordnung, die Vernichtung des »boshaften«
    Sonderwillens, der »teuflischen« Rebellion unerbittlich verhängt.
    Weder der Sohn, noch der Vater können sich dann auf eine dritte
    Instanz, auf eine objektive Welt der Überzeugung und der Sitte, auf
    eine unverbrüchliche Tradition des Maßes, der Begütigung und des
    Ausgleichs berufen. Keine überlegene Instanz vermag die erregten
    Gemüter zu dämpfen und beide in Einklang zu bringen. Ideal und
    Wirklichkeit, Geist und Natur, Gesetz und frohe Botschaft, alle die
    typisch protestantischen

Weitere Kostenlose Bücher