Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
Vom Netzwerk:
unterkommen.
    Man sieht: die Calwer Bibliothek bot allerlei Anregung und schon
    bleibende Freunde. Es läßt sich ja von solchen ersten Studien kaum
    absehen, wie bestimmend sie für die Entwicklung sind; denn
    wesentlich bleiben ja nicht die Lesefrüchte, wesentlich bleibt das
    eigene Weitergreifen und Wählen. Bezeichnend ist, und darauf
    möchte ich noch hinweisen, daß Hesse aus jenen Beständen die
    Herder und Lessing nicht nennt. Beide stehen dem Pietismus nahe.
    Herder hat die poetische Auffassung der heiligen Schriften eingeleitet
    und berührt sich nahe mit Zinzendorf, für den alles Religiöse und
    sogar Alltägliche zu einem Reime wird
    Holdselig und allmächtiglich,
    Bluthäuptig
    und
    Leibträchtiglich.
    Lessing aber war eine literarische Liebhaberei des Vaters Johannes
    Hesse, der ihn öfters in seinen Schriften erwähnt, so daß sein Name
    den vollen Glanz für den Sohn nicht mehr haben mochte. Auch er,
    Lessing, stand sympathisch zum Pietismus. Beide, Lessing und
    Herder, traten ja dafür ein, daß Frömmigkeit nicht eine
    Angelegenheit theologischer Debatten und giftiger Disputationen,
    sondern eine solche des Herzens und der Phantasie, des ganzen
    Menschen sei.
    Ein Name, von dem ich bis jetzt geschwiegen habe, ist derjenige
    Goethes. Sehr bald, nach jenen ersten Studien im Vaterhaus, tritt
    Hesse in die Heckenhauersche Buchhandlung ein; bezieht er die
    schwäbische Universität. Nicht als Student und immatrikuliert; nicht
    als einer der Dutzende ländlicher Störzer, die ihre »munteren
    Knabenjahre in Zechgelagen ersäufen«. Auch nicht als eines der
    freundlichen Püppchen, die nur in der Ausnahme noch der
    stanzenden Schablone entgehen. Er bezieht die Universität als
    Buchhändler. Er ist begierig, die Bedingungen seines Berufs und
    derjenigen kennenzulernen, an die er als Dichter und Schriftsteller

    60
    später sich wenden wird. Und wo könnte man die Erwartungen,
    Träume und Widerstände des Publikums, seinen Bildungsgrad, seine
    Bedürfnisse, seine wie immer geartete Seele besser kennenlernen als
    im Buchhandel? Wo könnte man als Literat die Erfordernisse des Stils
    (Einfalt, Klarheit, Verzicht auf exzentrisches Wesen), wo könnte man
    all das besser erwerben als hier? So ist Emile Zola Buchhändler
    gewesen, ehe er seine Bücher schrieb, und so ist es Hesse, ehe er
    den letzten Ausdruck des Europäers und Asiaten in eine nach vielen
    Tausenden zählende Gemeinde trägt, als seien die Dinge, die er
    mitteilt, die alltäglichsten der Welt.
    Die ersten zwei Tübinger Jahre sind fast ausschließlich dem Studium
    Goethes gewidmet. Hesse liest den »Wilhelm Meister« und vergleicht
    ihn wohl auch mit Goethes Biographie. Es existiert keine Äußerung
    darüber, doch ist es nicht schwer zu erraten. Bei seiner
    Empfindlichkeit für Gegensätze konnte ihm nicht entgehen, daß im
    »Meister« ein Widerspruch vorgetragen wird, der den Schlüssel zum
    ganzen Buche bietet. Das leichtlebige Komödiantentum, mit dem der
    Roman beginnt, stößt sich heftig mit den nachfolgenden
    »Bekenntnissen einer schönen Seele«. Diese Bekenntnisse hätten
    ihrem frommen Inhalte nach ebenso aus der Feder von Hesses
    Mutter stammen können wie von jenem seltsamen Fräulein von
    Klettenberg, das einen so beträchtlichen Einfluß auf Goethes
    Jugendentwicklung und sogar auf seine Freundschaften hatte. Und
    merkwürdig: das Komödiantentum nebst der unbändigen Tuba
    Shakespearescher Narren war offenbar befürwortet und von Goethe
    enthusiastisch begrüßt, die Bekenntnisse einer schönen Seele aber
    waren dies keineswegs. Auf dem Weg zu Lotharios Schloß erhielt sie
    »Wilhelm Meister« von Aureliens Arzt. Die Bekenntnisse waren also
    skeptisch aufzunehmen; als ein Dokument, das nach Goethes
    Meinung einer pathologischen Betrachtung nicht überhoben war.
    Forschte man in der Biographie nach, so fand man Goethe vollends
    von Pietisten umgeben. Von jenem frommen Fräulein aus seinem
    Vaterhaus angefangen über den Messias-Dichter und den
    halbpietistischen Herder bis zu den Freunden der Klettenberg, dem
    phantastischen
    Propheten
    Lavater
    aus
    Zürich
    und
    dem
    alchimistischen Arzte Jung-Stilling: immer wieder sind es Pietisten,
    mit deren besonderer, Hesse wohlbekannter Frömmigkeit das

    61
    Frankfurter Weltkind sich auseinanderzusetzen hat. Teufel auch! Es
    war doch eine mächtige, eine tief nationale Bewegung, dieser
    Pietismus, der den poesiefeindlichen Rechenmeistern entgegentrat
    und ihr hölzernes Räsonieren

Weitere Kostenlose Bücher