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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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zerschlug! Gleichwohl hielt sich Goethe
    lieber an das Fratzenschneiden; war er nichts weniger als ein Pietist.
    Er nahm an den Grübeleien teil, hantierte wohl auch mit der
    Klettenberg in Windofen, Sandbad und Retorte. Er pflegte nahe
    Freundschaft mit all den langgezopften Pastores; und ebenso
    schätzte er offen jene »Häuslichkeit der Liebe«, in der er Lavatern
    leben und streben sah. Aber es lächerte ihn doch ein wenig, wenn
    derselbe Lavater den Einzug des Kurfürsten von Mainz als Vorlage zu
    einem Einzug des Antichrist benutzte und auf der Zürcher
    Kurpromenade den Liebesjünger in Fleisch und Bein auf sich
    zukommen sah.
    Dieses beneidenswert unbehinderte Weltkind Goethe ist zwar auch
    den Rationalisten nicht gewogen – gegen Kant führt er eine
    beständige unterirdische Kampagne; über den biderben Hegel macht
    er sich nahezu lustig –: aber ein Pietist ist er nun ganz besonders
    nicht. Es dünkt einen sogar, daß er die »Mariannen und Philinen«,
    die Strumpfbänder und Billetdoux ganz bewußt ausspielt; daß er nur
    alles ins Noble und Charmante zu drehen sucht, wie bei ihm ja
    immer und überall hinter den flüchtigen Worten ein hinterhältiger
    Sinn, eine Absehung, ein aufs Ganze schauender Wille steht. Vieles
    blieb unverständlich, was sich später erschließen würde, – aber
    welch ein Wunder! Wie sich ihm jedes Stücklein Erde, das er in die
    Hand nahm, und jede kleine Welle, die er aus dem Wasser hob, zum
    Bild und Sinnbild formte! In seinem späteren Leben aber taucht auch
    für ihn, der sich solange konserviert und jung erhält, eine Gefahr
    auf: die Romantik. Er selbst hat sie gezüchtet und gefördert, mit
    seinem Volkslieder-Frühling, mit seinem Theater, mit vielem
    anderen. Jetzt, da er in klassischer Steifheit und götzenhafter
    Distanz zu verschimmeln droht, wachsen ihm die neuen
    Ankömmlinge über den Kopf.
    Da ist Tieck, der in den »Wilhelm Meister« am liebsten eine Spieluhr
    einbauen möchte; der ihn mit märchenhaften Girlanden, mit
    Träumen im Traum, mit einander sich küssenden Blumen und Tönen
    zu überbieten sucht. Unser Geist ist himmelblau, läßt er die Flöten

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    sagen. Und da ist Novalis, der denselben »Wilhelm Meister« einen
    Candide gegen die Poesie nennt; ein verstimmendes Buch. Er selbst
    möchte jeden Satz zum Geschmeide und jedes Buch zum Juwel
    erheben. Da ist Hölderlin, der in Jena und Weimar antichambrieren
    muß wie ein Tölpel, dem man die Verse korrigiert, und der doch, aus
    Schwaben kommend, weiß, daß auch der große Landsmann in Jena
    eine schwäbische Frau Mutter hatte, die Pfannkuchen gebacken und
    Äpfel gedörrt hat. Und da ist Jean Paul, der von den thüringischen
    Hellenen schon gar nicht goutiert wird; von dem sie sagen, daß er
    nicht schreiben könne und daß ihm bei mehrerem Verzicht auf seine
    Philisterwäsche noch könne gegeben sein, manch treffliches Stück
    einer wohligen Aneignung zuzuführen. All diese Romantiker sind
    einseitige Artisten; jeden Blutstropfen pressen sie in die Poesie. An
    Staatsgeschäften, Knochenlehre, Pflanzenkunde und wie die
    praktisch-nüchternen Dinge alle heißen, ist ihnen nicht viel gelegen.
    Poeten und Künstler wollen sie sein, bis zum Aberwitz, und sonst
    nichts.
    Aber da ist über all den flackernden Geistern plötzlich jener Goethe
    wieder, der den »Tasso« geschrieben hat, und das Stück handelt von
    einem Renaissancepoeten, der aus dem Gleichgewicht geraten ist.
    Und die Natur des Genies tritt hervor: eines überempfindlichen
    Nervenmenschen; des romantischen Neurotikers, würden wir heute
    sagen. Eines Poeten, der das Zeremoniell wenig achtet; der die Sitte
    durchbricht; der nach dem Grundsatze handelt: erlaubt sei, was
    einem gefalle. Er hat etwas vom gesetzverachtenden Humanisten in
    sich, dieser Tasso; von jenen Dichtern, die die Liebe gegen die
    Etikette setzen und das Herz, den Instinkt, den romantischen Furor
    gegen die Bindungen der Gesellschaft. Die Geschichte des wirklichen
    Tasso aber ist unheimlicher als das poetische Bild. Gehetzt, ein
    Verfolgter, flüchtete dieser Tasso von Hof zu Hof vor seinen Visionen,
    vor seinen Selbstbegegnungen; vor seinen eigenen heldischen
    Entwürfen, die aus ihm heraustreten und sichtbar schreckende
    Gestalt annahmen. Hesse, der Autor des »Presselschen
    Gartenhauses«, einer Dichtung, die sich stilistisch durchaus mit dem
    »Tasso« vergleichen läßt –: ich weiß nicht, ob er in Tübingen den
    Goethe so gelesen hat; ich möchte es aber nicht

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