Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
schillernde Oberfläche
unermüdlich prüfe, liebkose, befrage und bestürme, spült sie
zuweilen immer wieder wie zum Hohn ein fremdfarbiges Rätsel aus
bodenloser Tiefe vor mir aus, Muscheln, die von unermeßlichen,
fremden Räumen reden, wie ein Stück uralten Schmuckes
vereinzelte, unsichere Ahnungen einer versunkenen Vorzeit
beschwört.« Oder ein anderer Passus:
»O diese Nacht! Zehn Stunden ohne Schlaf, jede Minute ein Kampf
meiner unterdrückten Seele mit dem grausamen, gewaltherrischen
Gedanken, ein Kampf mit Zähneknirschen und Schluchzen, ein
Ringen ohne Waffen, Brust an Brust, mit allen Listen und
Grausamkeiten der Verzweiflung. Alle Dämme und Grenzen, die ich
meinem inneren Leben gezogen hatte, alle mühsam vorbereiteten
Saaten, alle gelegten Grundsteine sind in diesen Stunden zertreten
und vernichtet worden. Ich sah vom Bette aus die Hammetschwand
in den bleichen Himmel stechen... und nun wußte ich plötzlich, daß
nichts mehr zu retten wäre; freigelassen taumelte die ganze untere
Welt in mir hervor, zerbrach und verhöhnte die weißen Tempel und
kühlen Lieblingsbilder. Und dennoch fühlte ich diese verzweifelten
Empörer und Bilderstürmer mir verwandt, sie trugen Züge meiner
liebsten Erinnerungen und Kindertage.«
Hier sind sie, Apollo und Dionysos; nur beziehen sie sich statt auf
Kultur und Geschichte auf die eigene, die persönliche Welt. Sie
gehen durch Hesses ganzes, in Basel beginnendes Lebenswerk. Bald
wird die zierliche Flöte ertönen, und die Menge wird sich entzückt an
die Fersen des Dichters heften; bald wird die faunische Zymbel
grellen und der gesetzlose Trieb ausbrechen, wohlgeformt auch er,
aber umstürzend und furchteinflößend, zerreißend die Lieblingsbilder,
demianisch und steppenwölfisch.
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Man hat gegen Hesses Bücher der Frühzeit den Vorwurf bukolischer
Selbstgenügsamkeit erhoben. Ich weiß nicht, ob das ein Einwand ist.
Eine gewisse Ängstlichkeit (nicht vor dem Publikum und der
Auseinandersetzung) hielt Hesse lange Zeit zurück. Es wäre aber
eine Torheit zu glauben, daß dieser Dichter aus zwei Hälften besteht,
von denen die eine von der andern ein Jahrzehnt lang nichts wußte.
»Ziehen
wir
das
Fazit«,
so
schreibt
bereits
der
Dreiundzwanzigjährige mit vollkommener Selbstironie: »Mir bleibt
bei leidlich jungen Jahren der noch respektabel konservierte Rest
einer ehemals ansehnlichen Phantasie, eine gewisse, wenn schon
etwas abgenutzte Fähigkeit zum Genießen und Arrangieren
schillernder Stimmungen, sowie ein kleiner Fond von ›Seele‹, der bei
vorsichtigem Gebrauch eventuell noch eine und die andere Liebe
leichteren Genres zu inszenieren und zu überdauern vermag.
Rechnen wir dazu eine durch lange Gewohnheit erworbene Fähigkeit
im Tragisch-Idealischen und in der souverän duldenden Pose, so
muß ich mir selbst zu so schönen dichterischen Fähigkeiten
gratulieren und habe keinen Grund, um meine Zukunft als Autor
besorgt zu sein. Ich werde Niels Lyhne nicht ohne persönliche Note
imitieren und die sublimsten Wiener in Ekstasen übertreffen. Das
heißt auf deutsch: Pfui Teufel! Aber wozu habe ich Neudeutsch und
Wienerisch gelernt?«
Neben der Gedankenwelt Nietzsches steht immer wieder die
Beschäftigung mit Goethe. Beide treffen sich nicht nur im
Humanismus, sondern auch in der Befürwortung der Aristokratie, des
Vornehmen und Erlesenen. Basel, die Patrizierstadt, bringt diese, die
beiden Erzieher verbindenden Züge auf Schritt und Tritt zu
Bewußtsein. Wenn Hesse als »Kurgast« von seinem Arzte einen Rest
jenes Humanismus erwartet, zu welchem »die Kenntnis des Lateins
und des Griechischen und eine gewisse philosophische Vorschule
gehören«, so weist diese Forderung auf die alte Humanistenstadt am
Oberrhein zurück. Nach Basel aber deuten auch die ersten Versuche
des Dichters in jener »Kunst der Geselligkeit«, von der Hesse noch in
der »Nürnberger Reise« (1926) gesteht, daß er noch immer in ihr
Dilettant und Anfänger sei.
Schon im »Wilhelm Meister« fanden sich Sätze, die erkennen ließen,
daß die Lebensart überhaupt eine Kunst sei; daß es nicht nur darauf
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ankomme, die halbe Weltliteratur zu kennen und sich mit schönen
Gestalten phantastisch zu umgeben. Es erschien vielmehr wichtig,
die schönen Gedanken und Gestalten in das eigene Wesen
aufzunehmen und darzuleben. Im Kreise der Adligen seiner Zeit fand
Wilhelm Meister ein neues Ideal: die harmonische Ausbildung
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