Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
ohne weiteres
bezweifeln.
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Hermann Lauscher und Peter Camenzind
Nach Basel kommt Hesse mit zweiundzwanzig Jahren 1899 als
angehender Dichter und Literat. Bei Pierson erscheinen bereits seine
in Tübingen entstandenen »Romantischen Lieder«, bei Diederichs die
von Rilke mit Hochachtung aufgenommenen Skizzen »Eine Stunde
hinter Mitternacht«. Seines äußeren Zeichens ist Hesse noch immer
Buchhändlergehilfe. In Tübingen hatte er achtzig Mark Salär, hier in
Basel werden es hundertfünfzig bis zweihundert sein. Damit kann
man sich immerhin rühren. Damit kann man an freien Sonn- und
Feiertagen an den Vierwaldstätter See hinüberfahren und sich
Tribschen anschauen. Damit kann man sogar in ausgedehnteren
Urlaubstagen eine kurze Bogenreise durch Oberitalien riskieren.
Staat machen kann man mit solchem Einkommen nicht, und
gesellschaftlich wird man sich etwas gedrückt fühlen. Aber das
literarische Talent, an dem es nicht fehlt und das sichtlich gesegnet
ist, wird etwaige Beklommenheiten der Garderobe gleichgültig
erscheinen lassen.
Daß Basel auf Tübingen folgt, ist kein Zufall. Die schwäbischen
Theologen waren mit Basel, der Mutterstadt der Mission, immer in
enger Verbindung. Der junge Hesse folgt darin nur dem Zug seiner
Väter. Auch sie schon hatten eine Art alemannischer Gemeinschaft
empfunden, und man kann der Ansicht sein, daß sich diese
Gemeinschaft auch auf die Interessen eines Romantikers und
Humanisten ausdehnen läßt. So ist es nur konsequent, wenn Hesse
das Studium der Universalien, das er in Tübingen mit Goethe
begonnen hat, in Basel mit Jacob Burckhardt und Nietzsche fortsetzt.
Auch sind von den Eltern her noch Beziehungen lebendig. Basel ist
die Stadt, in der sich die Mutter viel glücklicher fühlte als in
Schwaben. Nach Basel kamen immer wieder die Väter und ihre
Freunde herüber: zum Besuch der Missionsanstalt; um einem in die
Ferne ziehenden Kameraden noch rasch die Hand zu drücken; um
einen Zurückgekehrten um die neuesten Erfahrungen zu befragen.
An der Missionsanstalt waren die Schwaben Josenhans und Christoph
Blumhardt Inspektoren, war Hesses Vater Präzeptor gewesen. Schon
1883 notiert die Mutter: »Herziger, lieber Umgang mit Frau Professor
Wackernagel und ihren erwachsenen Kindern, auch mit Pfarrer
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Laroches und anderen, die in der Nähe einige Wochen wohnen.« Sie
notiert das gelegentlich eines Landaufenthaltes auf dem
Rechtenberg, wo Ratsherr Sarasin ein Gut besaß.
Sowohl mit der Familie Rudolf Wackernagels, dessen Büste man vor
kurzem in der Universitätsbibliothek aufgestellt hat, wie mit der
Familie jenes Pfarrers Laroche tritt der junge Hesse wohl bald nach
seiner Ankunft in Verbindung. Im »Lauscher« die Doktors sind die
Wackernagels im Wenkenhof zu Riehen. Dieser Wackernagel, sagte
mir Hesse, ist nicht zu verwechseln mit dem bekannten
Sanskritisten. Nein, das ist er wohl nicht. Rudolf Wackernagel,
damals etwa fünfundvierzig Jahre alt, ist der »unvergessene
Staatsarchivar und Geschichtsschreiber unserer Stadt«; er ist Poet
und gerühmt auch als gastlicher Hausherr und prächtiger Vater;
seine vielfachen Begabungen vereinigen sich »im Feuer eines wachen
Geistes«. Bei Wackernagel konnte der junge Dichter gelegentlich
auch dem Rheinländer Jennen begegnen, dem Architekten des neuen
Basler Rathauses, dieses gar frohmütigen Rathauses mit seinem
buntgestreifelten Ziegelschmuck. Oder Heinrich Wölfflin, dem
Kunsthistoriker, der damals Professor der Universität war. Auch Karl
Joël verkehrte im Wackernagelschen Hause; sein Buch über
»Nietzsche und die Romantik« erschien, wenn ich nicht irre, 1906,
also wenige Jahre nachdem Hesse Basel verlassen hatte.
Wichtiger aber als diese gelehrten Connaissancen wurde für Hesse
die Beziehung zum Hause Laroche. Ich weiß nicht, ob ich eine
Indiskretion begehe, aber man flüsterte in Basel, schon als der
»Lauscher« erschien und erst recht nach der Publikation des
»Camenzind«, das Urbild der in beiden Büchern hold und weh
vorüberziehenden »Elisabeth« sei ein Fräulein Laroche gewesen.
Elisabeth ist ein hoher mütterlicher Name, dessen Mythus nach der
Wartburg weist. Die süßeste Gestalt der deutschen Heiligenlegende,
jene Frau, die den Armen das Brot bringt, hieß so. In ihrem
verhohlenen Korbe, da man brutal das Geheimnis entschleiern will,
duften die Rosen. Sie könnte sehr wohl, diese lächelnde Frau, das
Gegenbild sein zum getreuen Eckhart, zum
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