Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Teil aus Pietistenhäusern, und der
Pietismus selbst ist ein Zwischenglied zwischen den beiden
Konfessionen. Franziskus besonders scheint dem modernen
Natursymbol näher zu stehen als andere. Es ist dies ein
Mißverständnis, aber ein sehr liebenswertes, legendäres. Gleichviel,
auch der katholische Minderbruder steht dem Dichter nahe, wenn
sein Paradies nicht nur den Geist, sondern auch die Kreatur umfaßt.
73
Die Spötter werden lächeln: Hesse kennt im »Camenzind« auch
einen »Bruder Wein«, nicht nur den Bruder Sonne. Aber zuletzt und
in einem seiner schönsten Gedichte ist es doch der Bruder Tod, den
er liebt, und diese brüderliche Liebe wird die andere, die hie und da
in seinem Werke auftaucht, überdauern. Und also sei das Gedicht
zitiert, das in keinem deutschen Lesebuch fehlen sollte:
Auch zu mir kommst du einmal,
Du
vergißt
mich
nicht,
Und zu Ende ist die Qual,
Und die Kette bricht.
Noch erscheinst du fremd und fern,
Lieber
Bruder
Tod.
Stehest als ein kühler Stern
Über meiner Not.
Aber
einmal
wirst
du
nah
Und
voll
Flammen
sein.
Komm, Geliebter, ich bin da,
Nimm mich, ich bin dein.
Doch es ist an der Zeit, daß ich vom »Peter Camenzind« spreche, der
Hesses Namen mit einem Schlage durch ganz Deutschland trug. Dies
ist die verlegerische Vorgeschichte: ein dem Dichter persönlich nicht
nahestehender Herr, der Romanschriftsteller Paul Ilg, hatte den
Berliner Verleger auf den Basler Literaten Hesse aufmerksam
gemacht. Fischer las das spärliche »Lauscher«-Büchlein und lud den
Dichter in herzlichster Weise ein, dem Verlag etwaige künftige
Dichtungen zur Prüfung vorzulegen. »Es war die erste literarische
Anerkennung und Ermunterung in meinem Leben«, schreibt Hesse.
»Ich hatte damals den Camenzind begonnen und Fischers Einladung
spornte mich sehr an. Ich schrieb ihn fertig, er wurde sofort
angenommen. Ich war arriviert.«
Nun, nicht nur arriviert. Hesse stand jetzt dort, wo er hingehörte: auf
dem Forum, weithin vernehmbar. Und diese Verbindung war noch in
anderem Sinne für ihn bedeutsam. Auch während der schlimmsten
74
Jahre verstand es Fischer, eine Art von Gesellschaft und geistiger
Elite aufrechtzuerhalten; einen Zirkel, der dem Werke, noch eh es
geschrieben ist, eine Realität und gesellige Signatur verleiht. Dieser
feste Wille des Verlegers, dieses starke Bewußtsein einer Führung
und Würde war es vielleicht gerade, was für Hesse zur Bedingung
eines stetigen Sicherschließens wurde. Es ist sehr möglich, daß nur
dieser Verlag dem Dichter jenes Gefühl von Sinn in seinem Tun und
jenen Zustrom von Erwartung bieten konnte, ohne die Hesses Werk,
wie wir es heute kennen, vielleicht nicht vorhanden wäre.
Der »Camenzind« ist so oft gedruckt und besprochen worden, er ist
so weithin bekannt, daß ich mir eine Analyse erlassen kann. Ich
möchte den Roman mehr vom Biographen aus betrachten. Da
erscheint er zunächst als ein vehementer Versuch des Dichters, sich
eine Heimat zu schaffen. Die Eltern Hesses waren ebensosehr
Russen als Engländer, ebensosehr französische Schweizer als Inder,
und all dies mehr denn Schwaben. Der Dichter selbst war zwar in
den deutschen Staatsverband aufgenommen; bis zu seinem
dreizehnten oder vierzehnten Jahr aber war er Schweizer gewesen.
Da ihn mit Basel die frühesten, auch die menschlich bedeutsamsten
Erinnerungen verbanden, so ist es nur natürlich, daß er sich in
späteren Jahren (nach dem Krieg) in der Schweiz wieder
naturalisieren ließ. Immerhin blieb das Problem einer Doppelheimat,
da der Dichter ja in Calw geboren ist und seine glücklichste
Knabenzeit dort verlebte.
Im »Camenzind« möchte nun Hesse am liebsten als Mistral aus den
Bergen gelten. Als Flaggenschwinger und Sturmposaune. Goethes
Attachement an die Natur, Nietzsches Mistrallied und Rousseaus
Paradiesesträume –: das sind die Ideen, die Traditionen des Buches.
Der Büchermarkt scheint in die Ecke geworfen. »Was ist mir Plato!
hieß es schon gegen den Schluß des »Lauscher«. Elende Scharteke!
Ich muß Menschen sehen, Wagen fahren hören... auch sehne ich
mich danach, Nächte in kleinen Weinschenken zu verbringen, mit
gemeinen Mädchen gemeine Gespräche zu führen, Billard zu spielen
und tausend Nichtigkeiten zu treiben, die ich mir selber als tausend
Gründe dieses Jammergefühls aufzählen kann, das ich ohne Gründe
und Betäubung nicht länger ertrage.«
75
Die Künstlichkeiten machen ihn jetzt
Weitere Kostenlose Bücher