Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
der
Persönlichkeit. »Er sah das wichtige und bedeutungsvolle Leben der
Vornehmen, so hieß es da, in der Nähe und verwunderte sich, wie
einen leichten Anstand sie ihm zu geben wußten«, und er faßte den
Entschluß, »sich zu der vornehmen Welt emporzubilden«.
Der junge Hesse hat diese Sätze wohl gelesen; ich sprach von
gelegentlicher Nobilitierung in seinen Schriften. Im »Lauscher« aber
ist er noch der Dépressé mit allen typischen Anzeichen innerer
Überlastung und äußerer Unbeholfenheit. Er hat vom Vater
Gewissensstrenge, von der Mutter Choräle gelernt. Vom
Schwarzwaldstädtchen aber haftet ihm eine gewisse Überbetonung
der Manieren an; eine Vernachlässigung der Krawatte, eine linkische
Scheu, ein Mangel an Beweglichkeit. Er kann nicht tanzen, nicht
plaudern, keine Verbeugung machen. Er weiß nicht die Hand einer
jungen Dame zu küssen, ein rasches Billett zu schreiben; jede Geste
bekommt Zentnergewicht. Die Weltferne der schwäbischen Kleinstadt
hängt ihm an, und das Autodidaktentum, das alle Zeit frißt, die man
auf Tennisspielen und andere Kunststücke verwenden sollte,
vermehrt noch diese Schwierigkeit. Man braucht sich nur in eine
elegante Dame zu verlieben, um die verflixte Ironie solch
kleinstädtischen Angebindes gewahr zu werden. Auch dies ist ein
Wesenszug des Romantikers; Goethe wußte es wohl. Viele typisch
romantische Züge sind in solchen Verlegenheiten begründet und
schwinden mit ihnen. Manche mißglückte Liebe – weder in Hesses
Büchern, noch bei Gottfried Keller, noch bei den übrigen
Romantikern fehlt es daran – hat hierin ihren Grund.
Hermann Lauscher gibt sich zunächst gar preziös und verwöhnt.
Gelegentlich Tolstoi: »Etwas von der trostlosen traurigen, rohen,
schrecklichen Luft dieses Russen drückt mich – es ist körperlich
ungesund, solche Sachen zu lesen... Bei den Heiligen Martin und
Franziskus ist Person und Lehre ebenso hell, elastisch und erfreuend,
wie bei Tolstoi dunkel, spröde und niederdrückend.« – »Vielleicht,
sagt er, kommt von dorther die Erneuerung der Welt, aber ehe aus
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diesen herben, frischen, rohen Keimen Kunst werden kann, müssen
sie noch hundert Jahre und länger reifen.« Man hört Nietzsche und
Goethe zugleich; beide, wo sie vom Germanen sprechen, der noch
einige Jahrhunderte tüchtig müsse kultivieren, ehe man würde sagen
können, es sei lange her, daß er ein Barbar gewesen.
Die Neigung zum Erfreulichen, zum schönen Glanz und Schein ist
indessen vorerst noch eine Maske. Hesse wird im »Camenzind« nicht
zu den frischen Gröblichkeiten eines Brahms und Keller greifen, um
seine Schwäche zu bemänteln; aber auch Hesse wird im
»Camenzind« vom Berg den Hirtenknab gegen die urbanen Manieren
ausspielen. Er ist noch weit entfernt von jener Position des späten
Nietzsche, der die aristokratischen Hände und Gesten der Kardinäle
empfiehlt. »Das ist mein Fluch und Glück«, läßt er Lauscher sagen,
»daß ich keine Schönheit grob und froh genießen kann... Nur
zuweilen kommt das alte schwere Wesen, das ich so konsequent von
mir abstreifte, für Augenblicke anklingend wieder über mich.« Schon
bedenkt er, daß für den »toleranten Idealisten« ein höchster
komischer Reiz im Untersinken eines Helden zum Gemeinen liege.
Aber noch gehört es »zu den Opfern, die wir dem Ideale schuldig
sind«, auch diesen überaus verführerischen Reiz zu töten.
Dann steht er eines Abends am Kasino, um das Publikum (darunter
Elisabeth) aus dem Konzertsaal kommen zu sehen. Warm und
fröhlich schreitet sie, in Begleitung, über die beleuchtete Treppe
herab, immer dieselbe Elisabeth, das Traum- und Wunschbild, in
dem alles Ungesagte zur Oberfläche und zum entdeckten Mysterium
wird. Der Dichter aber steht vor dem erleuchteten Festsaal im
Regen, sein Hut ist in die schmerzende Stirn gedrückt, sein grauer
Mantel flattert im Wind. Wenige Tage später schon hat er mit
»Hesse« einen »Klub der Entgleisten« gegründet, in den er auch
seinen Tübinger Freund Elenderle mit aufnehmen würde, wenn dieser
sich nicht im Tübinger »Walfisch« erschossen hätte. Und siehe da:
bei Hesse und Lauscher, »bei uns beiden... derselbe Mangel an
Plastik, derselbe Zug... zum Schillernden, Flackernden und
Unfesten... dieselbe Verwandtschaft mit der Musik, dieselbe Tendenz
zur Auflösung der Prinzipien, zur künstlerischen Ironie«.
Um aber das religiöse Leitmotiv nicht aus dem Auge zu verlieren:
auch
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