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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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lachen; er ist der schwere
    Bursche aus dem Oberland, der den Teufel nach Schopenhauer und
    Nietzsche frägt; der jodeln kann und diese Begabung – von der ich
    nicht weiß, ob sie der wirkliche Hesse jemals besessen hat –, bis zur
    Parodie treibt . Er ist der stämmige Bursche aus Nimikon, der die
    Firnen in die Tasche steckt und mit Eiszapfen die jungen Mädchen an
    der Nase kitzelt. Er ist der Troll und verhaltene Faun aus den Bergen,
    der sackermentisch kräftige Muskeln hat, ein wenig ein »wild
    Säuding«, wie sich Keller nennt, aber doch wieder zart und
    franziskanisch gemengt in kleinen abseitigen sentimentalen
    Abenteuern, von denen die Modepinsel und die Salonhumanisten, die
    Tüftler und schmachtenden Damen nichts zu sehen bekommen.
    Er ist durchaus nicht mehr der Exseminarist und Buchhändler oder
    gar der über drei Treppen in verstaubten Schmökern wühlende
    Antiquar seiner letzten Basler Zeit. Er ist durchaus nicht der Sohn
    des Missionsschriftstellers Johannes Hesse in Calw und seiner halb
    indischen, halb französischen Gattin –: nein, er ist ein schlichter
    Gastwirt aus Nimikon, der, ehe er hinterm Ausschank resigniert, ein
    kunterbuntes Leben drunten in den berlinisch infizierten
    Kantonsstädten hinter sich hat und noch sonst allerlei, wie man
    munkelt. Es gibt in der Schweiz noch solche Camenzinds, nicht nur
    dem Namen nach. Es gibt sie noch, die romantischen Hoteliers, die
    plötzlich aus dem geleckten Getriebe verschwinden und eine Zeitlang
    irgendwo in Mexiko oder Hinterindien eine zweite Existenz führen. Es
    gibt hier noch Beamte und einfache Handwerker, die eine
    apostolische Lebensfülle mitten im Alltag bergen. Hesse hat sie
    immer geliebt, und insofern ist auch sein »Camenzind« echt.
    Nur ist das Berliner- und Parisertum ein wenig dünn und unerlebt
    ausgefallen. Gekannt hat Hesse vom internationalen Getriebe, als er
    den »Camenzind« schrieb, nur jenen Ausschnitt, den man mit einem
    Euphemismus Basler Boheme nennen könnte. Die Bergwelt aber, die
    er aufstellt, diese unberührte, gewaltige, noch lange nicht genug
    Philosophie gewordene Welt der Ureindrücke und Urgefühle; der
    großen,
    langsamen,
    tragischen
    Bewegung;
    der
    Schneefahnenreinheit, der unbeweglich ruhenden Chimären –: sie
    kennt Hesse, schon damals. Sie hat er studiert vor der
    Hammetschwand und dem Pilatus, vor dem Bürgenstock und dem

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    Rigi. Hier in dieser Urwelt beheimatet er sich. So möchte er sein: wie
    die Berge sind und der Föhn; wie der kristallene See, in dem die
    Riesenhäupter sich spiegeln; wie die kärgliche Einsamkeit, die sich
    da oben abspielt. Von hier aus möchte er hinuntersteigen zu den
    Menschen und ihren mancherlei Schicksalen. Nein sagen und ja
    sagen, den Kopf schütteln über all der Narretei und wieder
    zurückkehren auf seine Matte, in sein kleines Nimikon, wo er jeden
    Regentropfen und jedes Sonnenstäubchen, jeden Dachziegel und
    jede verirrte Krähe kennt.
    Dies alles ist »Camenzind«. Aber er ist noch etwas anderes. Er ist
    auch ein ergötzlich zu lesender Aufschneider-Roman. Es wird viel
    renommiert und bramarbasiert in dem Buch; es wird flott geflunkert,
    in einer Weise, die zu Hause in Calw unerhört gewesen wäre. Man
    muß oft lachend an den Schelmuffsky denken; an den »brav Kerl,
    dem was Rechts aus den Augen schaut«. Ein artiger Lügenroman von
    altbewährtem Schrot und Korn. Wie man von einem Sichausleben
    spricht, so könnte man davon sprechen, daß der uns bekannte
    frühere Pfarramtskandidat sich hier in diesem Buche von Herzen
    ausmären mag und darf. Er braucht das. Die Fabulierlust wurde allzu
    lange unterdrückt.
    Die ergötzliche Renommage im »Camenzind«, das Weitgereistsein
    erinnert ein wenig an Auerbachs Keller; an den Münchhausen. Es ist
    die unbekümmerte alte Poetenmanier, die von den Zauberromanen
    des Lukian über den Don Quichotte und den Gil Blas bis zu eben
    diesem »Camenzind« führt. Mitunter mutet das Buch, wenn man es
    heute liest, wie eine Persiflage auf den urchigen Schweizer an; so
    weit ist die Frische getrieben. Richard Wagner in Tribschen wird allen
    Ernstes das benachbarte Jodeln als Antithese zum »Tristan«
    entgegengesetzt. Das ist der Humor des Buches; das ist die Ironie
    schon des älteren Hesse. Das ist ein Stück allerbester Laune.
    Keine Depressionen mehr; keine Belastungen. Die Alpen sollen den
    inneren Alp erdrücken. War »Lauscher« der Nachklang notdürftig
    bemeisterter Erschütterungen, so soll mit

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