Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
politische Schule scheint die harmloseren
Seminaristenjahre von damals mit Pflicht und Gebot der Stunde und
allen lauten Moralforderungen, die man an einen Musterdichter wie
an einen Musterschüler stellt, wiederholen zu wollen.
In der Neuen Zürcher Zeitung läßt Hesse einen Aufsatz erscheinen,
betitelt »O Freunde, nicht diese Töne!« (im Titel verrät sich der
Musiker jener Jahre noch). Er beschwört darin, harmlos genug, die
Künstler und Denker Europas, das bißchen Frieden zu retten, das
wenigstens in ihrer Region sollte bewahrt werden. Romain Rolland
nennt den Verfasser in »Au-dessus de la Mélée« von allen deutschen
Dichtern denjenigen, der »in diesem dämonischen Kriege eine
wahrhaft goethische Attitüde aufrechterhalten habe«. Die alldeutsche
Presse aber nimmt jenes Feuilleton zum Anlaß, denselben Dichter,
dem sie ihre Hochachtung niemals versagt hatte, wie einen Buben
durch alle Gassen zu jagen. Eines von Hesses damaligen
Zeitgedichten, Oktober 1914, lautete:
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Sei
willkommen
einst,
Erste
Friedensnacht,
Milder Stern, wenn endlich du erscheinst
Überm Feuerdampf der letzten Schlacht.
Dir
entgegen
blickt
Jede
Nacht
mein
Traum,
Ungeduldig
rege
Hoffnung
pflückt
Ahnend schon die goldne Frucht vom Baum.
Sei
willkommen
einst,
Wenn
aus
Blut
und
Not
Du am Erdenhimmel uns erscheinst,
Einer andern Zukunft Morgenrot.
Der so dichtet, verträgt, übersensitiv, keine Reizungen mehr. Es geht
ihm wie dem kranken Pierre in »Roßhalde«, der abwinkt, wenn man
Musik machen will; durch dessen Zimmer man auf leisen Füßen
gehen muß; dessen Fenster man mit dunklen Tüchern verhängt.
Friede, nur Friede! Aber er ist ein Verräter, ein heimatloser Geselle,
wenn nicht ein »Gesinnungslump«. Eine gleichgültige kölnische
Tageszeitung gibt die Parole aus; etliche zwanzig Konzernblätter
drucken das Entrefilet mit entsprechenden Glossen nach; nur wenige
Freunde wagen eine schüchterne Verteidigung. Noch 1926, da der
Dichter eine Einladung erhält, in Stuttgart bei der Jahresfeier des
Schwäbischen Schillervereins zu lesen, findet eine vaterländische
Zeitung nicht etwa in Bromberg oder Husum, sondern in Stuttgart
die Einladung »unbegreiflich«, da es sich doch um einen
Gesinnungslosen handelt und Schiller doch unser, freilich unser, der
Dichter der Industrie und des Handels ist.
Man wird wissen wollen, wie sich denn Hesse nun mit den damaligen,
durchaus noch nicht republikanischen Institutionen abgefunden
habe. Das ist rasch erzählt. Er stellte sich, als der Krieg da war, dem
zuständigen Konsulat zur Verfügung. Da er als Halbschweizer und bei
seinen mannigfachen Verbindungen zu einflußreichen Familien im
Lande eine glückliche Akquisition schien, wies man ihn zunächst dem
Zivildienst bei der Gesandtschaft in Bern zu. Dort fand sich Anfang
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1915 der Zoologe Professor Woltereck ein, der mit Eidechsen und
Fröschen wenige Zeit vorher noch in Positano eine zoologische
Versuchsstation unterhalten hatte. Mit Woltereck zusammen, der mit
Vorschlägen nach Ostermundigen kam, richtete Hesse nun zunächst
exterritorial eine Abteilung für die Versorgung der deutschen
Kriegsgefangenen mit entsprechender Literatur ein; eine Gründung,
die bis zum Kriegsende sich erhielt und zuletzt derart ausgebaut war,
daß Hunderttausende von in Gefangenschaft geratenen Arbeitern,
Studenten, Beamten und selbst Gelehrten mit Wissen und
Unterhaltung hinlänglich versorgt waren.
Die Initiative und auch der Verkehr mit der Legation lagen bei
Woltereck; den belletristischen Teil leitete, mit sehr umfangreicher
Korrespondenz und endlosen Listen, Hesse. Er leitete ebenso den
»Sonntagsboten für deutsche Kriegsgefangene«, der alle vierzehn
Tage erschien, und eine eigene »Gefangenenbücherei«, die je und je
auch kurzweilige Erzählungen aus seiner eigenen Feder zu einem
schmalen Bändchen vereinigte. Es ist mir bei der Nachfrage nach
dieser nahezu vier Jahre währenden Tätigkeit gelungen, ein sonst
kaum auffindbares venezianisches Märchen Hesses, den »Zwerg«, zu
Gesicht zu bekommen, ein Märchen, das den Vergleich mit einem
ähnlichen aus Oscar Wildes »Granatapfelhaus« durchaus nicht zu
scheuen braucht.
Mit den republikanisch gesinnten Emigranten (Schickele, Foerster,
Mühlon) pflog Hesse kaum persönlichen Verkehr. Als ich 1917 nach
Bern kam und Hesses »Traumfolge« in den Weißen Blättern las,
wußte ich nicht, daß der Dichter in der
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