Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
»Gertrud« es ist: »Er litt, er trug einen schweren Schmerz,
und er war von Einsamkeit ausgehungert wie ein Wolf. Dieser
Leidende hatte es mit dem Stolz und dem Alleinsein versucht und es
nicht ausgehalten, er lag auf der Lauer nach Menschen, nach einem
guten Blick und einem Hauch von Verständnis, und war bereit, sich
wegzuwerfen dafür.« Die Vereinsamung des Dichters, die 1910 in
»Gertrud« bereits bis zur Gemütskrankheit führte, ist durch die
Indienreise nicht gebrochen worden; sie hat sich in »Roßhalde« noch
verschärft. Das stille, zurückgezogene Leben im Welti-Haus kann
darüber nicht täuschen.
1914, da »Roßhalde« erscheint, hätte ursprünglich auch der
Gedichtband »Musik des Einsamen« erscheinen sollen. Das Copyright
des bei Salzer in Heilbronn verlegten Büchleins zeigt die Jahreszahl
des Kriegsbeginns; der Umschlag aber zeigt die Jahreszahl 1916.
Das Büchlein sollte also im Kriegsjahr erscheinen, mußte aber
offenbar zurückgestellt werden. Dafür erscheint 1915 bei Georg
Müller der Gedichtband »Unterwegs«, der auch eine Anzahl
Zeitgedichte enthält. In einer dem Buche mitgegebenen Notiz liest
man, daß es sich hier mit Ausnahme der »Zeitgedichte« um ältere
Stücke handle; die neueren Gedichte seien in der »Musik des
Einsamen« enthalten.
Die Verwirrung in den Publikationen ist das erste Kriegsmalheur, das
den Dichter ereilt, und es ist ein sehr bezeichnendes Mißgeschick:
der Gipfel von Hesses Traumgebäude, seine Musik, ist getroffen.
Gerade in den ersten Kriegsjahren konzentriert sich seine lyrische
Produktion: sei es, weil er die Musik abschließen möchte, sei es, weil
er sich zu bestätigen sucht, daß er, der Vogel im Käfig, überhaupt
noch zu singen vermag. 1916 erscheint »Knulp« mit seiner Betonung
des Handwerks und entfaltet eine Welt, die außerhalb der Ehe und
der bürgerlichen Sphäre liegt. 1917 erscheint, nach den beiden
genannten Verssammlungen, auch eine Neuauflage der »Gedichte«
von 1902. Der Dichter muß sich Lieder singen und in Gedanken
wenigstens auf der Landstraße wandern, um das Leben noch
erträglich zu finden.
100
Die »Musik des Einsamen« ist von den genannten Publikationen die
am meisten typische. Es ist begreiflich, daß ihr Autor für den
patriotischen Freudentaumel jener Jahre wenig Sinn haben konnte.
Er trägt den Feind im eigenen Innern, er kämpft mit den
Geheimnissen der Form. Schon auf seiner Indienreise sieht ihn alles
...
wild
und
teuflisch
an,
Weil er den Feind im eigenen Busen trägt.
Ein Blick in die »Musik des Einsamen« läßt vollends begreifen, daß
dieser Mann die blutigen Sensationen nicht mitzumachen vermag, ja,
daß sie ihn peinigen müssen. Schon bei der Ausgabe seiner
Anthologie von »Liedern deutscher Dichter« (um 1910) setzte er die
poetische Tradition einer »augenblicklichen Verrohung unserer
Kultur« entgegen. Es bedurfte keiner Kriegspresse, um ihn durch die
Begeisterungen hindurch auf den Grund sehen zu lassen.
Hesse schwebt, als der Krieg ausbricht, in einer Region, aus der ihn
der leiseste Anruf zum Absturz bringen kann. Er ist ohne Ausblick
von einer Schwermut umlagert, die ihn erschütternde Trostworte mit
seinen eigenen poetischen Gestalten tauschen läßt. Man vernehme
aus »Unterwegs« (1915) das Gedicht
Auf Wanderung
(Dem Andenken Knulps)
Sei nicht traurig, bald ist es Nacht,
Da sehn wir über dem bleichen Land,
Den kühlen Mond, wie er heimlich lacht,
Und ruhen Hand in Hand.
Sei nicht traurig, bald kommt die Zeit,
Da haben wir Ruh. Unsre Kreuzlein stehen
Am hellen Straßenrande
zu zweit,
Und
es
regnet
und
schneit
Und die Winde kommen und gehen.
101
Ich wüßte nicht zu sagen, ob Goethens Lied von der Ruh über allen
Wipfeln tiefer empfunden, ob es reiner gestaltet ist. Was Hesse, da
ihn der Krieg aufstört, zu verteidigen hat, das umschreibt in der
»Musik des Einsamen« ein Vers wie dieser:
Jahre
ohne
Segen,
Sturm auf allen Wegen,
Nirgends
Heimatland,
Irrweg nur und Fehle.
Schwer auf meiner Seele
Lastet Gottes Hand.
Sich eine Heimat zu schaffen, hatte er den »Camenzind«
geschrieben. Aus demselben Grunde war er nach Gaienhofen
gezogen. Um die Heimat, den Bund mit Frau und Kindern zu halten,
war er vom Bodensee aufgebrochen nach Bern. Jetzt stellt ihn die
allerorten hervorbrechende Wildheit vor neue Aufgaben und Qualen.
Eine Überbürdung droht ihn gleich dem Schüler Giebenrath zu Fall zu
bringen. Die beginnende
Weitere Kostenlose Bücher