Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
Vom Netzwerk:
Nähe wohnte; in den
    politischen Zirkeln war kaum von ihm die Rede. Er lebte offenbar
    sehr zurückgezogen; das Kaffeehaus ist nicht seine Sache. Doch
    auch er konnte, wie es im »Lebenslauf« heißt, die Freude über die
    große Zeit nicht teilen, und so kam es, daß er unter dem Kriege von
    Anfang an »jämmerlich litt« und jahrelang sich »gegen ein scheinbar
    von außen und aus heiterem Himmel hereingebrochenes Unglück
    verzweifelt wehrte«. »Und wenn ich nun«, so fährt er fort, »die
    Zeitungsartikel der Dichter las, worin sie den Segen des Krieges
    entdeckten, und die Aufrufe der Professoren und alle die
    Kriegsgedichte aus den Studierzimmern der berühmten Dichter,
    dann wurde mir noch elender.«

    104
    Bedenkt man die Nachwirkung, so war das schlimmste Erlebnis jener
    Zeit unstreitig das mit der Presse. Man wird geneigt sein zu sagen,
    daß nur gekränkter Ehrgeiz eines vorher Verwöhnten sich in die
    rauhere Tonart der Kriegsläufte nicht zu finden wußte. Es war aber
    doch wohl etwas anderes. Es war die Erfahrung des Dichters, daß
    man ihn zwar gelesen, aber mit gläsernen Augen gelesen hatte. Es
    war die Enttäuschung, daß die musikalische Nation weder ihrem
    eigenen holden Wesen, noch ihrem Dichter treu war. Und es war,
    weiterhin, ein Beweis, daß man auf unsicheren Grund gebaut, daß
    man an Fäden angeknüpft hatte, die die Kraftprobe nicht bestanden.
    Noch im »Steppenwolf«, ein Jahrzehnt später, hat Hesse jene
    Schmähungen nicht vergessen. Es verlohnte nicht, davon zu
    sprechen, wären sie für den Dichter nicht zum Ausgangspunkt einer
    neuen, gewitzigteren Ästhetik geworden.
    Zur eigentlichen Auseinandersetzung mit den Kriegseindrücken
    kommt es indessen erst um 1918. Zunächst drängen des Dichters
    persönliche Konflikte, von den Kriegsereignissen beeinflußt, zur
    Lösung. Erst nachdem die sehr scharfe, heftige Krise des eigenen
    Innern überwunden, nachdem die Befreiung aus lange gestauten
    Erlebnisreihen gefunden ist, wird sich der Dichter umsehen, in was
    für einer Welt er nun eigentlich stehe; wird er sich nach außen
    wenden und den Versuch unternehmen, sich in den inzwischen
    eingetretenen Veränderungen, die einem völligen Zusammenbruch
    gleichen, zurechtzufinden.
    Ich sagte bereits, daß es nur eines unbedeutenden Anstoßes
    bedurfte, um Hesses prekäre Situation zur Krise zu führen. Diesen
    Anlaß gab eine bestürzende Erkrankung seines jüngsten, kurz vor
    der Indienreise geborenen Sohnes Martin. Martin ist für Hesse ein
    lieblicher, von vielen Träumen umsponnener Name. Ich glaube die
    Wahl dieses Namens auf die Lektüre von Bernoullis »Heiligen der
    Merowinger« zurückführen zu dürfen. Martin ist nach Gregor von
    Tours der Spezialheilige der ganzen Weit; besonders gegen das Ende
    des Mittelalters ist er das. Martin ist aber auch der Familienheilige
    des Protestanten, der deutsche Nationalheros. Für Hesse bedeutet
    der Name Martin die Vereinigung der beiden europäischen
    Konfessionen, und nicht nur sein Sohn erhält diesen Namen. Nein,
    auch »Sinclairs Notizbuch«, das an den »Demian« anschließt, enthält

    105
    einen Abschnitt, der »Martins Tagebuch« (Hesses Tagebuch in
    diesem Falle, nicht das seines Söhnchens) betitelt ist.
    Nun, dieser zarte Namensträger Martin, Hesses Jüngstgeborener,
    erkrankt unter Symptomen, die schlimmste Befürchtungen
    erwecken. Diese mystische Erkrankung und der Umstand, daß
    heranwachsende Kinder den Eltern stets ihre eigenen frühen
    Konflikte noch einmal vor Augen führen –: dies und noch einiges
    mehr bereitet dem Dichter eine schwere Nervenkrise. Auf Anraten
    seines Hausarztes sucht er das Kurhaus Sonnmatt bei Luzern auf.
    Dort empfiehlt man dem Vereinsamten einen jungen Luzerner Arzt
    und Analytiker, den damals etwa fünfunddreißigjährigen Jung-
    Schüler J. B. Lang, der rasch zu Hesses vertrautem Freunde wird. Es
    ist an dieser Stelle wohl angebracht, einige Worte über ihn zu sagen;
    denn die Frucht der intensiven, alle Fragen der modernen
    Psychotherapie streifenden Gespräche ist ein Meisterwerk der
    deutschen Sprache: Hesses »Demian«.
    Zuvor jedoch noch ein Wort über die Voraussetzungen, unter denen
    der Dichter nach Sonnmatt kam. Gelegentlich des »Lauscher« bereits
    zitierte ich ein Gedicht, das zeigte, wie innig der damals
    Dreiundzwanzigjährige die Philosophie des Unbewußten erfaßte. Das
    ganze Lauscher-Büchlein durchbebte bereits das Thema des
    erregenden Urbildes der Mutter. Seitdem ist ein Zug

Weitere Kostenlose Bücher