Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Nähe wohnte; in den
politischen Zirkeln war kaum von ihm die Rede. Er lebte offenbar
sehr zurückgezogen; das Kaffeehaus ist nicht seine Sache. Doch
auch er konnte, wie es im »Lebenslauf« heißt, die Freude über die
große Zeit nicht teilen, und so kam es, daß er unter dem Kriege von
Anfang an »jämmerlich litt« und jahrelang sich »gegen ein scheinbar
von außen und aus heiterem Himmel hereingebrochenes Unglück
verzweifelt wehrte«. »Und wenn ich nun«, so fährt er fort, »die
Zeitungsartikel der Dichter las, worin sie den Segen des Krieges
entdeckten, und die Aufrufe der Professoren und alle die
Kriegsgedichte aus den Studierzimmern der berühmten Dichter,
dann wurde mir noch elender.«
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Bedenkt man die Nachwirkung, so war das schlimmste Erlebnis jener
Zeit unstreitig das mit der Presse. Man wird geneigt sein zu sagen,
daß nur gekränkter Ehrgeiz eines vorher Verwöhnten sich in die
rauhere Tonart der Kriegsläufte nicht zu finden wußte. Es war aber
doch wohl etwas anderes. Es war die Erfahrung des Dichters, daß
man ihn zwar gelesen, aber mit gläsernen Augen gelesen hatte. Es
war die Enttäuschung, daß die musikalische Nation weder ihrem
eigenen holden Wesen, noch ihrem Dichter treu war. Und es war,
weiterhin, ein Beweis, daß man auf unsicheren Grund gebaut, daß
man an Fäden angeknüpft hatte, die die Kraftprobe nicht bestanden.
Noch im »Steppenwolf«, ein Jahrzehnt später, hat Hesse jene
Schmähungen nicht vergessen. Es verlohnte nicht, davon zu
sprechen, wären sie für den Dichter nicht zum Ausgangspunkt einer
neuen, gewitzigteren Ästhetik geworden.
Zur eigentlichen Auseinandersetzung mit den Kriegseindrücken
kommt es indessen erst um 1918. Zunächst drängen des Dichters
persönliche Konflikte, von den Kriegsereignissen beeinflußt, zur
Lösung. Erst nachdem die sehr scharfe, heftige Krise des eigenen
Innern überwunden, nachdem die Befreiung aus lange gestauten
Erlebnisreihen gefunden ist, wird sich der Dichter umsehen, in was
für einer Welt er nun eigentlich stehe; wird er sich nach außen
wenden und den Versuch unternehmen, sich in den inzwischen
eingetretenen Veränderungen, die einem völligen Zusammenbruch
gleichen, zurechtzufinden.
Ich sagte bereits, daß es nur eines unbedeutenden Anstoßes
bedurfte, um Hesses prekäre Situation zur Krise zu führen. Diesen
Anlaß gab eine bestürzende Erkrankung seines jüngsten, kurz vor
der Indienreise geborenen Sohnes Martin. Martin ist für Hesse ein
lieblicher, von vielen Träumen umsponnener Name. Ich glaube die
Wahl dieses Namens auf die Lektüre von Bernoullis »Heiligen der
Merowinger« zurückführen zu dürfen. Martin ist nach Gregor von
Tours der Spezialheilige der ganzen Weit; besonders gegen das Ende
des Mittelalters ist er das. Martin ist aber auch der Familienheilige
des Protestanten, der deutsche Nationalheros. Für Hesse bedeutet
der Name Martin die Vereinigung der beiden europäischen
Konfessionen, und nicht nur sein Sohn erhält diesen Namen. Nein,
auch »Sinclairs Notizbuch«, das an den »Demian« anschließt, enthält
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einen Abschnitt, der »Martins Tagebuch« (Hesses Tagebuch in
diesem Falle, nicht das seines Söhnchens) betitelt ist.
Nun, dieser zarte Namensträger Martin, Hesses Jüngstgeborener,
erkrankt unter Symptomen, die schlimmste Befürchtungen
erwecken. Diese mystische Erkrankung und der Umstand, daß
heranwachsende Kinder den Eltern stets ihre eigenen frühen
Konflikte noch einmal vor Augen führen –: dies und noch einiges
mehr bereitet dem Dichter eine schwere Nervenkrise. Auf Anraten
seines Hausarztes sucht er das Kurhaus Sonnmatt bei Luzern auf.
Dort empfiehlt man dem Vereinsamten einen jungen Luzerner Arzt
und Analytiker, den damals etwa fünfunddreißigjährigen Jung-
Schüler J. B. Lang, der rasch zu Hesses vertrautem Freunde wird. Es
ist an dieser Stelle wohl angebracht, einige Worte über ihn zu sagen;
denn die Frucht der intensiven, alle Fragen der modernen
Psychotherapie streifenden Gespräche ist ein Meisterwerk der
deutschen Sprache: Hesses »Demian«.
Zuvor jedoch noch ein Wort über die Voraussetzungen, unter denen
der Dichter nach Sonnmatt kam. Gelegentlich des »Lauscher« bereits
zitierte ich ein Gedicht, das zeigte, wie innig der damals
Dreiundzwanzigjährige die Philosophie des Unbewußten erfaßte. Das
ganze Lauscher-Büchlein durchbebte bereits das Thema des
erregenden Urbildes der Mutter. Seitdem ist ein Zug
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