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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Ball
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von Schwermut
    und Selbstversunkenheit aus Hesses Büchern nicht geschwunden.
    Bald tief versteckt, bald offen klagend und werbend teilt sich die
    Sehnsucht nach einer Art Urheimat, nach dem Quellgrund alles
    Lebens mit; nach dem verbergenden Schoße der Wiedergeburt. Die
    Erinnerung selbst ist die Mutter des Dichters; immer wieder umkreist
    er jenen Bezirk des Unsagbaren, der dem Bewußtsein entzogen ist.
    Immer wieder versucht er, in jene Weit zu dringen, die als die
    unterirdische Nacht des Grabes, des Todes und aller Lebenskeime
    getrennt ist vom lichten Götterglanze, vom Intellekt und seiner
    Irrfahrt.
    Doch ein anderes ist das enthobene und geheiligte Bild der Mutter,
    und ein anderes das materielle, das physische. Mit dem letzteren
    verbindet sich die Neigung des Kindes in jenen ersten, frühesten
    Jahren, in denen noch keine Trennung besteht zwischen irdisch und
    himmlisch, und zwischen Diesseits und Jenseits. Und doch wird eine

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    Zeit der Scheu und des Gewissens kommen und mit ihr die Nötigung,
    das himmlische Bild vorn irdischen zu trennen, weil die erwachenden
    trüberen Leidenschaften sich einmengen und jene Trennung
    gebieten. Dann wird, in der Gärungszeit, eine schwere Verwirrung
    der Neigungen entstehen, die bei der Treue des Kindes bis zur
    Neurose führt.
    Bleibt die Vermischung der Bilder erhalten, so werden
    Beängstigungen
    und
    nächtliche
    Schrecken,
    Alpdruck
    und
    Blasphemie, giftige, stachelnde Skrupel von unbekannter Herkunft
    den Traumwandler entsetzen und scheuchen. Seine grübelnde
    Phantasie umgibt ein drohendes Geheimnis; umgibt eine Sphäre, die
    zur Absonderung und Melancholie, zur Revolte und Ausfälligkeit, zu
    feindlichen Handlungen führt. Alle Süße wird zur Bitterkeit. Das
    stetige Umkreisen des unlösbaren Rätsels fesselt die sonst dem
    Leben zuströmenden Einfälle und Gedanken. Das Bild der Mutter
    saugt alle Symbolkraft, alle Zeichen, denen eine mütterliche
    Bedeutung beigelegt werden könnte, an sich. Das Bild der Mutter
    umgibt sich mit Fisch und Vogel, mit Sumpf und Abgrund; mit all
    jenen Ideogrammen, deren Schrift in den Tempeln der Mutterkulte
    zu finden ist.
    Für den Dichter, dem diese Blätter gewidmet sind, erhielt dieser
    allgemeinere Konflikt eine besondere Schärfe durch die äußerste
    Gewissensstrenge und Zucht seines Vaterhauses. Schon in frühester
    Jugend empfindet er sich als Greis; im Alter und mit der Lösung wird
    er sich jung empfinden. Sein ursprünglich heiteres und lebendiges
    Temperament fühlt unerklärliche Ketten. Kaum regt sich ein Streben
    nach Selbständigkeit, so ist er auch schon der Ausgestoßene, der
    eine imponierende Position erringen, sich rechtfertigen und vor der
    Mutter sich wiederherstellen muß. Er vollendet 1902 seinen ersten,
    ihr zugedachten größeren Gedichtband; als er aber erscheint, hat die
    Mutter soeben die Augen für immer geschlossen.
    Dann tastet er in seinem Romane »Gertrud« dem Rätsel seiner
    Vereinsamung nach. »Sie sind gemütskrank«, läßt er den Präzeptor
    Lohse zu seinem ehemaligen Schüler sagen. »Ja. Sie haben eine
    Krankheit, die leider Mode ist und der man jeden Tag bei
    intelligenten Menschen begegnet. Die Ärzte wissen natürlich nichts
    davon. Es ist mit moral insanity verwandt und könnte auch

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    Individualismus oder eingebildete Einsamkeit genannt werden. Es
    kommt auch vor, daß solche Kranke hochmütig werden und alle
    andern Gesunden, die einander noch verstehen und lieben können,
    für Herdenvieh halten. Wenn diese Krankheit allgemein würde,
    müßte die Menschheit aussterben. Aber sie ist nur in Mitteleuropa
    und nur in den höheren Ständen zu treffen. Bei jungen Leuten ist sie
    heilbar, sie gehört sogar schon zu den unumgänglichen
    Entwicklungskrankheiten der Jugend.«
    Als Hesse diese Sätze schreibt, 1909 oder vielleicht noch früher, hat
    er weder Jung noch Freud gelesen. Aber er kennt, von Basel her, die
    romantische Philosophie und hat einen Weg in sich selbst. Schon in
    »Gertrud« weiß er, daß es gilt, eine Brücke zwischen Ich und Du zu
    finden; die allzu versunkene Innerlichkeit aufzuheben; den
    mystischen Protestantismus, das Erbe vom Vaterhaus her, zu
    durchbrechen. Sein Zustand ist ihm bewußt. Nur fragt er sich, für
    wen er seine Blätter beschreibe; »wer eigentlich so viel Macht über
    mich hat, daß er Bekenntnisse von mir fordern und meine Einsamkeit
    durchbrechen kann«. Also am Freunde und Arzte fehlt es. Und am
    richtigen Weg, der dann zu gehen

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