Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
und gerngesehenen Gast.
Von Zeit zu Zeit tauchte Albert auch unangekündigt bei einem der vielen Abendessen auf, welche die Moraveks in Bukarest veranstalteten. Seine liebste Zeit war nach dem Essen, wenn die Zigarrenkästen und die Vitrinen mit den edlen Tropfen geöffnet wurden und sich das Gespräch seinemLieblingsthema zuwandte: der Wut auf die Nationalsozialisten. »Er war sehr gut darin, interessante, lebhafte Gespräche zu führen, und zum Krieg sagte er ehrlich und ernsthaft seine Meinung, wenn sie auch, da er Deutscher war, sehr traurig und pessimistisch klang. Er war so gut wie sicher, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, und machte sich große Sorgen wegen der Auswirkungen, die der bevorstehende Zusammenbruch auf sein Vaterland und auf ganz Europa haben würde«, schreibt Elsa Moravek Perou de Wagner. 151 Bei solchen Zusammenkünften wurde nicht nur der ideologische Graben zwischen den beiden Göring-Brüdern häufig diskutiert, sondern man kam auch auf ihre mangelnde körperliche Ähnlichkeit zu sprechen. Neugierigen Fragen ging Albert jedoch immer aus dem Weg, indem er witzelte, seine wahre Mutter sei eine Zigeunerin aus Böhmen gewesen.
Diese lockere Atmosphäre herrschte auch bei Alberts Besuchen in der Skihütte der Moraveks in Poiana in den südlichen Karpaten. »Sobald er ankam, rief er nach einem Fernet Branca und einem Kaffee … Er genoss das Leben in vollen Zügen … Er war liebenswert, lebhaft und amüsant. Später erfuhr ich, dass fast alle Frauen in ihn vernarrt waren«, erinnert sich Elsa. Albert betätigte sich auch gern als Koch: Er sammelte Pilze im nahen Wald, briet sie und verwöhnte seine Gastgeber mit einem raffinierten Abendessen. Nach dem Essen kümmerte er sich dann um die Kinder, indem er sie bei Mondlicht mit dem Schlitten spazieren fuhr oder sie zum Skifahren mitnahm. Elsa berichtet: »Dann war Albert wieder der perfekte Begleiter, weil er Kinder liebte und es eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war, im Schnee herumzutollen.« 152
Trotz Jan Moraveks unfreiwilliger Abwesenheit hörten die Arbeiter in den Škoda-Werken nicht auf, sich zu widersetzen, sondern gingen sogar allmählich vom passiven Widerstandzu direkten Sabotageakten über. Der Betrieb in Brünn, in dem Karel Sobota arbeitete, blieb bis 1944 immer von den Luftangriffen der Alliierten verschont. Immer wieder heulten die Luftschutzsirenen und verließen die Arbeiter die Werkhallen, doch nie wurden über dem Gelände Bomben abgeworfen. »Es gingen also alle raus in einen kleinen Wald, der ein Stück von der Fabrik entfernt lag, und da blieben sie, bis das Signal gegeben wurde, dass sie wieder reinkonnten«, erläutert Jorge.
Der ständige Fehlalarm wurde so sehr zur Routine, dass es schließlich den Oberbefehlshabern der Wehrmacht auffiel. »Dann wurde es interessant, weil sich die Deutschen dachten, na schön, wenn die Amerikaner die Fabrik nicht bombardieren, dann sind wir doch mal ganz schlau und bauen da eine Kommandozentrale hin«, erzählt Jorge und rückt vor Anspannung auf seinem Sitz nach vorn. Für diese Kommandozentrale begannen die Deutschen einen Betonbunker zu bauen, eine uneinnehmbare Festung – beinahe jedenfalls.
Jan Moraveks ehemalige Zöglinge in der Widerstandsbewegung fanden schon bald die Schwachstelle der Bunkeranlage: Der Eingang war wenig gepanzert, sodass Beschuss von der Seite her den ganzen Komplex von innen zerstören konnte. Diese Information reichten sie über ihre Geheimkanäle an die Alliierten weiter, und einige Monate darauf flog die 15. US-Luftflotte tatsächlich ihren nächsten Angriff auf Brünn. Es ist nicht klar zu belegen, ob der Angriff eine Reaktion auf die übermittelten Informationen war oder die Luftflotte in Brünn Ersatzziele bombardierte, doch der Bunker wurde zerstört, und einige der Fabrikgebäude ebenfalls. Eines der Opfer dieses Überraschungsangriffs war Karel Sobota. Nach so vielen Fehlwarnungen hatten seine Kollegen und er beschlossen, die Sirenen zu ignorieren, und fanden sich kurz darauf in einem Schutthaufen wieder. Als Karel wieder zu sich kam, lag er mit zwei gebrochenen Rippen im Krankenhaus.
Die deutschen Befehlshaber schäumten vor Wut. Sie glaubten nicht an einen Zufallstreffer. So viel Präzision schien ohne genaue Ortskenntnis kaum möglich zu sein. Da es keine Hinweise auf einen Schuldigen gab, marschierten die Gestapo-Häscher unter Gebrüll und Stiefelknarren in die Fabrik ein und setzten den Lauf ihrer Luger-Pistolen an die
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