Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
»das Büro des Herrn Oberdirektor Göring in den Škoda-Werken [sei] eine wahre Einsatzzentrale für ›arme‹ Tschechen«. 155 Angesichts all der kleinen und großen Rettungseinsätze für Alberts Mitbürger in Prag scheint dieser Vergleich nicht einmal unangebracht.
Einmal half Albert Göring zum Beispiel einem Prager Zahnarzt, der in Bedrängnis gekommen war, weil er eine jüdische Arzthelferin beschäftigte. Albert gelang es, die Wogen zu glätten, sodass beide ihre Arbeit fortführen konnten. 156 Später kam sein Einsatz noch einmal der Zunft der Zahnärzte zugute, als der tschechischen Ärztin Dr. Duchková ihre Praxisräume gekündigt wurden und sie damit ihren Lebensunterhalt verlor. Als Albert davon erfuhr, wandte er sich an »das zuständige deutsche Amt« und erreichte, dass die Kündigung rückgängig gemacht wurde. 157
Je mehr Menschen Göring half, desto weiter eilte ihm sein Ruf als guter Deutscher voraus. Tag und Nacht klingelte bei ihm das Telefon. »1943, als so viele Geschäfteaufgelöst wurden, wurde auch die Glaserei PENKAVA in der Vodickova-Straße geschlossen«, sagte Albert im Zuge seines Verfahrens in Prag. »Der Besitzer und seine Frau, beide schon etwas älter, kamen zu mir in die Škoda-Werke und baten mich, etwas für sie zu tun. Ich wandte mich an Herrn VEDESTÄDT vom Reichsprotektorat und sorgte dafür, dass der Laden in ihrem Besitz blieb und wieder öffnen konnte.« Ganz ähnlich verlief der Fall von FrantiŠek Šimonek, der Nummer dreißig auf der Liste der Geretteten. Seine Ländereien, auf denen auch das aus dem 16. Jahrhundert stammende Schloss Stránov stand, waren den Autoritäten ins Auge gefallen. Als Albert zu Hilfe gerufen wurde, war ein Großteil des Besitzes bereits konfisziert, doch es gelang ihm, Schloss Stránov vor dem Zugriff der Behörden zu retten. 158 Das Kulturdenkmal ist auch heute im Besitz der Familie Šimonek.
Albert Göring hatte also den Ruf eines Mannes, an den man sich jederzeit wenden konnte, doch er wartete nicht immer erst darauf, gefragt zu werden. Bei einer seiner Zugreisen kam er mit einem jungen Ehepaar ins Gespräch, Karel und Hana Schön. Beide trugen den Gelben Stern, und Hana berichtete, welchen Diskriminierungen sie ausgesetzt waren. Als Albert seine Einstellung zum NS-Regime durchblicken ließ, vertraute sie ihm an, dass die beiden versuchen wollten, aus dem besetzten Europa zu fliehen. Daraufhin versorgte er die Eheleute mit beträchtlichen Summen in Schweizer Franken und Italienischer Lira, die sie als Bestechungsgelder einsetzen konnten. Von den dankbaren Eltern des Pärchens erfuhr Albert später, dass sie wohlbehalten nach Buenos Aires entkommen waren. 159
Solche scheinbar kleinen Interventionen wirken wie bloße Fußnoten zu Alberts heroischer Geschichte, doch man sollte ihre Auswirkungen nicht unterschätzen. Auch Alexandra Otzoup, deren Familie auf Alberts Liste an zweiundzwanzigster Stelle steht, weiß von einem solchen Einsatzzu berichten: »Im Herbst 1939 wurden mein Mann und dessen Sohn aus erster Ehe verfolgt. Herrn Göring gelang es, statt einer KZ-Inhaftierung ihre Ausweisung nach dem Ausland zu erwirken und ihre Ausreise durchzuführen.« 160
Langsam leert sich die Café-Terrasse. Die Sonne ist hinter der Skyline von Paris verschwunden. Auch unser Gespräch nähert sich dem Ende, und Jorge berichtet von der letzten Episode der Freundschaft zwischen Albert Göring und seinem Vater. Im Jahr 1943 wurde es für Karel Sobota zunehmend deutlich, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden. Die Russen gewannen immer mehr an Boden und näherten sich der Tschechoslowakei. Plötzlich erschien es weit weniger attraktiv, der persönliche Assistent des Bruders von Hermann Göring zu sein. Also bat Karel Albert eines Tages um ein Gespräch und sagte, er wolle versetzt werden. »Mein Vater hat erzählt, Albert sei sehr überrascht gewesen«, erinnert sich Jorge. »Er fragte: ›Aber Herr Sobota, warum wollen Sie denn versetzt werden? Geht es Ihnen nicht gut? Bekommen Sie nicht genug Gehalt? Mögen Sie Ihre Arbeit nicht?‹ Karel antwortete nur: ›Doch, es ist alles bestens, aber Sie wissen, dass ich nicht bleiben kann.‹«
Obwohl er Albert vertraute und wusste, wie verständnisvoll er war, mochte Karel nicht mehr preisgeben als diese Worte. Seinen wahren Grund konnte er einfach nicht nennen. Ausgerechnet dem Mann, dem er so viel zu verdanken hatte, konnte er unmöglich ins Gesicht sagen, dass es zur Gefahr werden könnte, mit
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