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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihm in Verbindung zu stehen. Jorge ergänzt: »Mein Vater hat es mir so erklärt: Er sagte: ›Jorge, das konnte ich ihm einfach nicht sagen – obwohl ich wusste, was für ein Mensch er war –, dass Deutschland den Krieg verlieren würde.‹« Für Albert bedeutete das nicht nur den Verlust eines kompetenten Mitarbeiters und Verbündeten, sondern eines Freundes. Doch er verstand, was Karel ihm zu sagen versuchte. Rasch überdachte er dieSituation und änderte seinen Tonfall. »Und dann verstand Albert … ›Ah, verstehe. Kein Problem.‹ Mein Vater hat dazu gesagt: ›Ja, weißt du, mein Sohn, wenn ich geblieben wäre, hätten die Russen gar nicht erst Fragen gestellt. Ich arbeitete für den Bruder des Reichsmarschalls!‹«, berichtet Jorge.
    Albert Göring hatte selbst immer vorhergesagt, dass der Krieg in einer Niederlage Deutschlands enden und man die Deutschen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft ziehen würde. Und er kannte die Wirkung seines Familiennamens. Solange sein Bruder an der Macht war, konnte Albert den Namen einsetzen, um Gutes zu bewirken. Doch wenn sich die Zeiten änderten, konnte er leicht zu einer Bürde werden – nicht nur für seine Träger, sondern auch für alle, die mit ihnen in Verbindung standen. Sicher würden die Russen die Schuld, die mit dem Namen verknüpft war, mit allen Mitteln einzutreiben versuchen. Also vermittelte Albert Karel Sobota eine andere Stelle in der Československá Zbrojovka.
    Dort blieb Karel, bis der Betrieb 1947 den Verstaatlichungsmaßnahmen der neuen tschechoslowakischen Regierung zum Opfer fiel. Als 1949 die Kommunisten die Macht übernahmen, waren Sobota ihr einheitliches Rot und Grau bereits leid und zog es vor, in ein bunteres Leben zu fliehen. Nach Zwischenstopps in Teheran 1949 und in Kairo 1950 sowie fünf Jahren Arbeit in La Paz, Bolivien, ließ er sich schließlich 1955 in Brasilien nieder.
     
    So schwer Karel die Entscheidung auch fiel, mit Albert Göring zu brechen, im Nachhinein gaben ihm die Ereignisse recht. Als wir aufbrechen wollen, lehnt sich Jorge noch einmal zu mir herüber und flüstert: »Dieser Mann, der Tscheche, der den Posten [meines Vaters] übernommen hat, den haben die Russen abgeknallt.«

11. Schwarz, Rot und Gelb
    »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!«, rufen heisere Stimmen in die laue Sommernacht. Ganz Freiburg trägt Schwarz, Rot und Gold. Die Nationalfarben hängen von den Fahnenstangen, prangen auf T-Shirts, spiegeln sich in den leuchtenden Augen der Passanten. Überall auf der Bertholdstraße sieht man alberne Filzhüte und Michael-Ballack-Trikots; ein Autokorso voller hupender, »Olee« brüllender Fans kriecht den Werderring hoch und runter. Ein paar besonders siegesberauschte Nachtschwärmer versuchen sogar, wenn auch vergeblich, einen Kleinbus umzuwerfen. Deutschland ist ins Halbfinale der WM 2006 eingezogen. »Berlin, Berlin« ist schon seit dem ersten Gruppensieg das Mantra der Fangemeinde. Zwischen ihrem Team und dem Finale steht zwar noch die Begegnung mit den unerbittlichen Italienern, doch heute Abend wähnt die ganze Nation schon das Olympiastadion und die Trophäe in greifbarer Nähe.
    Zuerst ist der Anblick etwas gewöhnungsbedürftig. Skandierende Menschenmassen unter einem deutschen Fahnenmeer rufen nicht unbedingt die behaglichsten Assoziationen hervor. Aber das hier ist ein neues Land. Ein wiedervereinigtes Deutschland, das über sechzig Jahre Zeit hatte, seine Wunden zu heilen und sich mit seinem Gewissen auszusöhnen. Hier und heute können Deutsche wieder im Chor skandieren, dass sie stolz sind auf sich und ihr Land.
    Doch dieses Lebensgefühl gibt es nicht erst seit Beginn der WM. In den Gesprächen mit meinen deutschen Freunden klingt es immer wieder durch. Sie sind die Enkel des Dritten Reiches. Für sie ist es, anders als für ihre Eltern, kein Tabu mehr, über diese Zeit zu sprechen. Gern tun siees allerdings auch nicht immer. Ihrer Meinung nach ist das Thema längst zum Klischee geronnen. Es wurmt sie, wenn jede neue Bekanntschaft aus dem Ausland gleich als Erstes wissen möchte, wo ihre Großeltern im Krieg gewesen sind. Ich kann diese Irritation durchaus verstehen – sie tragen für das, was ihre Großeltern getan haben, nicht die Verantwortung, nur dafür, aus deren Fehlern zu lernen und beim kleinsten Anzeichen, dass sie sich wiederholen könnten, einzugreifen. Sie sind eine eigene, neue Generation, deren Horizont nicht nur aus Hitler, Auschwitz und Hakenkreuzen besteht. Also lasse

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