Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
gehaltenen Hausschwein – was damals ein schwerwiegendes Vergehen war –, stöberten jedoch bei ihren Nachforschungen einen Ordner mit Nachweisen über undeklarierte Fonds und Vermögen in Übersee auf. Die Moraveks waren über diesen Fund eher erleichtert. Wäre die Gestapo mit der für sie typischen Gründlichkeit vorgegangen, dann hätten sie einen Koffer voller Dokumente gefunden, aus denen eindeutig hervorging, dass Jan und sein Bruder Kontakte zur tschechischen Widerstandsbewegung unterhielten. Elsa Moravek Perou de Wagner schreibt dazu: »Weder mein Vater noch mein Onkel noch vielleicht die gesamte Familie hätten überlebt, wenn die Beamten ihn nicht übersehen hätten.« 145
Während Jan noch geschäftlich in Jugoslawien war, erhielt Frau Moravek einen Anruf von einer Sekretärin bei Škoda, die sie darum bat, am nächsten Tag zu einem Treffen in die Konzernzentrale zu kommen. Mit wem sie sichtreffen sollte, erwähnte die Sekretärin nicht. Voller Sorge kam sie der Aufforderung nach. Im Škoda-Hauptquartier wurde sie von der Sekretärin in ein Büro begleitet und dort »einem hochgewachsenen, gutaussehenden Mann vorgestellt, der hinter seinem imposanten Schreibtisch Zigarre rauchte. Sein Aussehen passte gar nicht zu den Nazis, die sie bisher kennengelernt hatte. Im Gegenteil sah er eher wie ein Zigeuner aus.« Es war Albert Göring, der Freund ihres Mannes. Er begrüßte sie auf Französisch und erklärte anschließend »auf Deutsch, in wenigen, präzisen Sätzen«, sie könne bald nach Rumänien ausreisen und dort ihren Mann wiedersehen. 146
Zuerst war Frau Moravek angesichts von so viel Großzügigkeit eines Deutschen, noch dazu des Bruders von Hermann Göring, misstrauisch. Doch der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Vilem Hromádko, versicherte ihr, »Herr Göring« sei gegen die NS-Herrschaft und ein vertrauenswürdiger Mensch, der sich um alles kümmern werde.
Albert Göring kontaktierte Jan Moravek in Jugoslawien und schärfte ihm ein, um keinen Preis nach Prag zurückzukehren, sondern nach Bukarest zu reisen, wo er einen Posten in der Unternehmensleitung der dortigen Škoda-Niederlassung antreten konnte. Der Posten war ausgesprochen gut dotiert und erlaubte es ihm problemlos, das Bußgeld für seine Unterschlagungen zu bezahlen. Somit war seine Existenz bis auf weiteres gesichert, und die Familienzusammenführung konnte beginnen. Ein Jahr lang bereitete Albert, ohne dass die Gestapo etwas merkte, die Flucht der Familie vor. Er war inzwischen geübt darin, Reisepapiere, Devisen und falsche Ausweise zu beschaffen.
Eine »unbekannte Person« erschien eines Tages im Haus der Moraveks und stattete die Familie mit Fahrscheinen und deutschen Ausweispapieren aus. Dann erklärte die Person Frau Moravek, sie solle »am selben Tag um zehn Uhr abends mit dem Nachtzug abreisen, nur Sie und dieKinder, mit höchstens zwei Koffern«. 147 Unterwegs kam ein »junger Mann mit dunklem Haar« in ihr Abteil und sagte, er sei damit beauftragt sicherzustellen, dass sie wohlbehalten nach Rumänien gelangten. 148 Am Morgen des zweiten Reisetags, als sie sich bereits in Rumänien befanden, hielt der Zug in Braşov, einer 166 Kilometer von Bukarest entfernten Kleinstadt. Und auf dem Bahnsteig stand niemand anderer als Jan Moravek und rief nach seinen Kindern. »Wir waren so überwältigt vor Freude und Glück, dass wir ihn alle gleichzeitig umarmen wollten«, erinnert sich seine Tochter Elsa. 149 Auf der Liste der Geretteten trägt Familie Moravek die Nummer zwanzig.
Obwohl Albert Göring die Familie vor dem Zugriff der Gestapo bewahrt hatte, blieb Frau Moravek ihm gegenüber misstrauisch. Sie fühlte sich in seiner Gesellschaft unwohl und ging ihm aus dem Weg. Wenn sie einander doch begegneten, forderte sie ihn immer wieder heraus. Bei einem gemeinsamen Abendessen erklärte Albert: »Ich bin eigentlich kein Deutscher, sondern Österreicher.« Wütend entgegnete Frau Moravek: »Wie merkwürdig. Es muss wohl ein echt deutsches Wunder sein, wenn Sie als Deutscher eigentlich Österreicher sind und ich als Bolivianerin eigentlich eine Deutsche.« Albert reagierte gelassen wie immer. Er sagte nur, er bewundere ihre Aufrichtigkeit, eine Eigenschaft, die er nur selten zu Gesicht bekam, da sich viele wegen seines Bruders vor ihm fürchteten. 150 Das nahm ihr den Wind aus den Segeln, und von dem Tag an entwickelte sich zwischen den beiden eine tiefe gegenseitige Zuneigung. Albert wurde für die Familie Moravek zu einem guten Freund
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