Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
arbeitete, richtete sie die Wohnräume her. Was bis dahin eine lieblose, ungepflegte Junggesellenbude gewesen war, verwandelte sich durch gründliche Reinigung, frische Anstriche, Vorhänge, Pflanzen, neues Geschirr, neue Bettwäsche und Kleiderschränke anstelle der bisherigen Metallregale in ein wohnliches Zuhause. Als der lange Winter überstanden war, machte sie sich an den Garten.
Und ab und zu gingen sie gemeinsam auf Beutezug.
Gary betrieb eine Website zum Thema Restauration von historischen Tasteninstrumenten. Über sie erhielt er nicht nur fast alle seiner Aufträge, sondern auch Hinweise, wo in der Welt ein außergewöhnliches Instrument aufzufinden sein mochte. Wenn sie dann losfuhren, waren das nicht einfach Reisen, es waren Detektivabenteuer. Es galt, Spuren zu folgen, Gesprächspartnern Anhaltspunkte zu entlocken, die einen weiterbrachten, und es galt, geschickt zu verhandeln: Sobald die Leute erfuhren, dass es sich bei einem alten Kasten, der seit Generationen auf dem Dachboden verstaubte, um ein rares Musikinstrument handelte, das bei entsprechender Restauration einiges wert war, verlangten sie gleich Beträge dafür, die das Geschäft unrentabel machten.
In der Nähe von Venedig stöberten sie ein echtes Dulcitone auf, das Gary nur von Taubendreck hätte befreien müssen, doch der Besitzer, ein misstrauischer Weinbauer, wollte sich nicht davon trennen. In einem Musikaliengeschäft in Genf entdeckten sie ein Pianino, dessen Baujahr mit 1955 angegeben war, das tatsächlich aber, wie Charlotte erspürte, aus dem Jahr 1840 stammte: ein Schnäppchen. In Rotterdam schließlich fanden sie auf einem Speicher ein echtes Alfred-Arnold-Bandoneon.
Gary war außer sich vor Begeisterung. »Die sind unglaublich gesucht«, erklärte er. »Die Firma ist 1948 enteignet worden, dabei sind die originalen Baupläne verloren gegangen – und man hat es bis heute nicht geschafft, diesen unvergleichlichen Klang zu rekonstruieren.«
Charlotte staunte über die Bandbreite an Tasteninstrumenten, die es gab. Gary erklärte ihr den Unterschied zwischen einem Spinett und einem Klavicitherium, zeigte ihr ein Reproduktionsklavier, ließ sich mit Begeisterung über das Terpodion aus und schwärmte von einem 1819 gebauten Monumentalinstrument namens Apollonikon. Sie lernte, was ein Tafelklavier war, ein Harfenklavier, ein Lyraflügel, eine Orphica. Sie erfuhr, dass ein Adiafon oder Gabelklavier seine sphärischen Töne nicht mit Saiten, sondern mit Stimmgabeln erzeugte und sich deshalb nie verstimmen konnte. Sie staunte über das Pyrophon, eine Art Orgel, die mit Gasflammen statt mit Luft arbeitete und im 19. Jahrhundert durch seine Neigung, bei Konzerten zu explodieren, mehrere Organisten verletzt hatte.
So verging ein Jahr, in dem Charlotte wie auf Wolken schwebte. Das Leben war wunderbar. Alles war so einfach: Die Tage waren erfüllt von elegischen Klängen, die aus der Werkstatt durchs Haus schallten, während sie kochte und buk, wusch oder aufräumte. Manchmal radelte sie über die schmalen Feldwege zwischen den saftig-grünen Feldern und bedauerte nur, dass es keinen Bauernhof in der Nähe gab, wo sie Milch direkt von der Kuh kaufen konnte, oder sonst irgendetwas Urwüchsiges, Einfaches. Abends, wenn Gary das Licht in der Werkstatt ausmachte,aßen sie, redeten, und meistens endete es damit, dass sie sich liebten. Das Leben war wunderbar, und es war einfach.
Das Problem, das erst mit Verzögerung zutage trat, war, dass Garys Geschäftsmodell schon zu Zeiten, als er allein gewesen war, nur mit Mühe genug für eine Person abgeworfen hatte. Nun waren sie zu zweit, ohne dass sich an seiner Art zu arbeiten irgendetwas geändert hätte. Logischerweise reichte der Ertrag hinten und vorne nicht. Dass ihnen dies so lange nicht aufgefallen war, hatte nur daran gelegen, dass die Entdeckung des historischen Cembalos in Berlin einen ungewöhnlich hohen Gewinn eingebracht hatte. Der war nun aufgezehrt.
Weder Charlotte noch Gary konnten wirklich mit Geld umgehen, geschweige denn haushalten. Charlotte war es gewohnt gewesen, jederzeit genug Geld zu haben; bei Einkäufen hatte sie sich immer nur gefragt: Will ich das? Sie versuchte nun zwar, auf Preise zu achten, mit einem wöchentlichen Budget auszukommen und sparsam zu wirtschaften, doch meist blieb es bei Versuchen. Gary brauchte so gut wie nichts für sich selber, für Kleidung, Essen und so weiter. Dafür spielte Geld bei ihm keine Rolle, wenn es darum ging, Spezialwerkzeuge,
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