Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
zugeschnittener und aussortierter Rohmaterialien hinter der Maschine an, Metalle, Kunststoffe, Holz und so weiter.
Waren wirklich so viele Elemente in dem Klotz gewesen? Eine stählern schimmernde Horde wild gewordener Legosteine wuselte da vor ihr herum, mehr als doppelt so viele, als sie vermutet hätte. Die Elemente hatten sich aber noch nicht repliziert, oder? So schnell konnte das nicht gegangen sein.
Nein, jetzt sah sie es: Wie sie damit begannen. Wie kleine Haken und Messer und sonstige Instrumente hier und da den Boden säuberten und glätteten und dann Gussformen hineinschnitten, wie andere Elemente heranhuschten und die Wände dieser Gussformen glatthämmerten, in weichen, fließenden, summenden Bewegungen, wie ein Insektenschwarm, der über die Insel herfiel, ein Schwarm stählerner Heuschrecken, nur dass sie nicht Felder kahl fraßen, sondern Müllhalden.
Da floss das erste geschmolzene Metall in eine der Gussformen! Es zischte, Dampf stieg auf und Rauch …
Charlotte trat neben Hiroshi, der das Treiben seiner Schöpfung mit verklärtem Lächeln verfolgte. »Die Energie dafür«, sagte sie. »Woher kommt die Energie für das alles?«
Sie hatte erwartet, dass er Mühe haben würde, sich aus seiner Verzückung zu lösen, aber so war es nicht. Im Gegenteil, er schien regelrecht beglückt zu sein, dass sie so weit mitdachte. »Die meisten stellen diese Frage überhaupt nie«, meinte er lächelnd. »Also – im Moment kommt die Energie schlicht und einfach aus einem Generator.« Er deutete auf ein dunkelgrünes, niedriges Zelt neben dem großen Laborzelt, und Charlotte entdeckte ein dünnes Kabel, das zu einem der größeren Elemente des Klotzes lief. Drinnen im Zelt war das noch nicht eingesteckt gewesen: Offenbar besaß der Komplex also die Möglichkeit, eine gewisse Menge Energie zu speichern. »Das war wieder eine Frage der Ausgangskonfiguration. Energie ist ein zentrales Problem, aber für den Ablauf der Replikation ist es zunächst unerheblich, woher sie kommt. Deswegen haben wir das Metaprogramm so ausgelegt, dass die Energie von einem Generator kommt, bis es mehr als zwanzig Komplexe sind. Die werden dann beginnen, ein Sonnenkraftwerk zu bauen, das alles Weitere speist.«
Sie musterte ihn, fragte sich einmal mehr, was in diesem seltsamen Mann vorgehen mochte. Wahrscheinlich würde sie ihn niemals ganz verstehen. »Zwanzig Komplexe«, wiederholte sie. »Mal ehrlich – hast du überhaupt vor, die Maschine je wieder abzuschalten?«
Er lächelte geheimnisvoll. »Irgendwann wird das keine Maschine mehr sein, die man abschalten könnte.«
Ein Geräusch, das nichts mit den Aktivitäten der Elementroboter zu tun hatte, ließ alle die Köpfe heben. Es war der Hubschrauber, der sich der Insel näherte.
»Wie lange kannst du eigentlich bleiben?«, wollte Hiroshi wissen.
Charlotte blinzelte, überlegte, welchen Tag sie hatten und wie lange Gary noch in London sein würde. »Eine Woche? Zwei, vielleicht.«
»Okay. Dann komm doch einfach mit nach Hongkong.«
Irgendwann hörte er auf, die Hände zu zählen, die er schütteln musste. »Rasmussen«, erklärte er jedem. »Jens Rasmussen. Ich vertrete die Interessen Herrn Katos.«
»Angenehm«, war die übliche Antwort. »Aber er kommt selber auch, oder?«
»Davon gehe ich aus.«
Rasmussen kam gern nach Hongkong, war schon immer gern in dieser Stadt gewesen. Die meisten Menschen dachten bei diesem Namen nur an Hochhäuser und Straßenschluchten, stellten sich wimmelnde Horden von Menschen vor, die hektisch ihren Geschäften nachgingen. Doch wenn man die Stadt besser kennenlernte, stellte man zu seiner Überraschung fest, dass man auf dieser Insel stundenlang wandern konnte, durch Wälder und grüne Auen, dass es zahllose Plätze mit wunderschönen Ausblicken auf die Buchten und Küstenlinien Chinas gab und uralte Bäume, die hier schon gestanden hatten, als Hongkong noch ein verschlafenes kleines Nest gewesen war.
Bedauerlich, dass er diesmal keine Zeit dafür finden würde. Die Einladung zu der Direktoriumskonferenz hatte eher den Charakter einer Alarmübung gehabt.
Natürlich war wieder alles vom Feinsten: das Hotel, die Limousine, die ihn abgeholt hatte, der Tee und die Häppchen, die serviert wurden, ehe es losging. Und natürlich war es wiederKu Zhong, der allgegenwärtige Assistent Gus, der sich um alles kümmerte, eine breitschultrige, grimmige graue Eminenz, seinem Herrn und Meister loyal ergeben bis an die Grenze der Servilität und manchmal,
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