Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
herum, bis nichts mehr übrig war.
Die Schneidelemente wurden abtransportiert. Ein Element mit einem langen Fühler sauste heran. Es begann, den Ort, an dem das Holzstück gelegen hatte, abzutasten. »Das Prospektor-Element«, erklärte Hiroshi.
Offenkundig stellte es fest, dass kein Holz mehr übrig war, denn es glitt wieder von dannen, und danach surrte es erst einmal nur eine Weile im Inneren der Apparatur. Schließlich kamen neue Transporter herausgeflitzt und legten Zahnstocher auf dem Boden ab, einen neben den anderen, eine Unmenge davon.
»Unglaublich«, gab Charlotte zu.
»Falls man Zahnstocher braucht«, schränkte Hiroshi ein. »Das war ein frühes Programm, das wir inzwischen erweitert haben. Der Komplex kann dasselbe jetzt auch mit Metall machen.«
»Mit Metall?«, wunderte sich Charlotte. »Werden da die Schneiden der Elemente nicht rasch stumpf?«
»Ja, aber die Elemente können sie sich gegenseitig wieder schärfen.«
Charlotte erwiderte nichts, vermochte nur zwischen demSchal in ihren Händen und der bizarren Maschine hin und her zu blicken. Sie hatte das Gefühl, vor einem Abgrund zu stehen. Was ging hier vor sich? Was war das für eine Maschine, die Schals strickte, Aststücke zu Zahnstochern verarbeitete und wahrscheinlich auch Kaffee kochen konnte, wenn es sein musste? Das sah alles lustig aus, aber sie spürte trotzdem – sogar sie! –, dass das kein Spiel war und dieser Apparat kein Spielzeug. Wenn sie jemals etwas gesehen hatte, das geradezu schreckenerregend viele Möglichkeiten eröffnete, dann war es dieses Ding da.
Sie wandte sich ab, um Atem zu holen. Er beobachtete sie, sie spürte es. Sie drehte den Kopf, blickte ihn an. »Du willst dieses Ding wirklich auf die Welt loslassen?«
»Zunächst nur auf diese Insel«, sagte Hiroshi.
»Und wer garantiert, dass es auf der Insel bleibt?«
»Jedes Element hat eine Sollbruchstelle, die es in Salzwasser zerfallen lässt. Eine künstliche Beschränkung selbstverständlich, die später entfallen kann. Im Moment dient sie aber der allgemeinen Beruhigung.«
»Jedes Element? Auch die, die die Maschine selber herstellt? Ihre Kinder auch?«
»Die auch.« Er neigte den Kopf. »Abgesehen davon werden wir hier keine Stufe der Komplexität erreichen, die Anlass zur Sorge gäbe. Wir bleiben noch lange im Bereich hauptsächlich zentraler Steuerung.«
Sie wandte sich wieder dem Komplex zu, der so, wie er da stand, an einen demütig geduckten Hund erinnerte. »Ich weiß nicht. Irgendwie beunruhigt mich dieser Gedanke.«
»Das ist eine normale Reaktion«, meinte Hiroshi. »Wenn alles so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, wird eine Welt enden und eine neue entstehen. Es wäre unnatürlich, wenn einem das keine Angst machen würde.«
»Und dir? Macht es dir keine Angst?«
»Nein. Ich glaube, dass die neue Welt besser sein wird als die alte.«
In diesem Moment raschelte die Plane am Eingang des Zeltes. Sie drehten sich beide um. Es war der junge Mann von gestern Abend. Miroslav hieß er, fiel Charlotte wieder ein. Heute trug er nur eine Badehose, hatte nasse Haare und sah noch magerer aus, als sie ihn in Erinnerung hatte.
»Was gibt es?«, fragte Hiroshi unwirsch. Die Störung war ihm sichtlich nicht recht.
Miroslav hob ein Blatt, das er in der Hand hielt. »Das kam gerade aus Hongkong. Mit Dringlichkeitsvermerk. Das Faxgerät hat Signal gegeben, sonst hätte ich es am Strand gar nicht gehört …«
»Und? Worum geht es?« Hiroshi streckte die Hand aus.
»Wir sollen den Versuch noch nicht starten.« Miroslav reichte ihm das Fax. »Mister Gu hat das Direktorium informiert, und die Damen und Herren haben massive Bedenken angemeldet. Man verlangt, dass du zu einer Besprechung nach Hongkong kommst, bei der man über das weitere Vorgehen beschließen wird.«
Hiroshi nahm das Blatt entgegen, las es schweigend. Sein Gesicht umwölkte sich zusehends.
»Was kann das im schlimmsten Fall heißen?«, wollte Miroslav wissen. Er bibberte ein bisschen; was vielleicht daran lag, dass es hier im Zelt relativ kühl war. »Dass das Projekt eingestellt wird?«
Hiroshi sah von dem Fax auf, schaute einen Moment ins Leere. Dann blickte er seinen Assistenten an und lächelte. »Nein. Das Projekt wird nicht eingestellt. Denn leider … ist dieses Fax erst fünf Minuten nach Versuchsbeginn eingetroffen. So ein Pech aber auch.«
»Fünf Minuten, nachdem …?« Miroslav riss die Augen auf. »Das geht nicht! Auf dem Fax ist die Uhrzeit aufgedruckt. Man wird im
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