Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Schlafsack nehmen«, riet Leon. »Ich nehme zum Beispiel die Kameras zu mir, vor allem wegen der Batterien. Die sind in der Kälte sonst am nächsten Morgen leer.«
Charlotte saß in der Runde, wärmte sich am Metall des Kaffeebechers in ihrer Hand und hörte zu, wie die anderen diskutierten. Sie hatten die Unterlagen vor sich ausgebreitet und besprachen, wie sie vorgehen wollten.
Auf jeden Fall erst mal den biologischen Status quo abseits der Umgebung der Hütte dokumentieren, beharrte Angela, und als Leon nachfragte, was sie darunter verstünde, erklärte sie ihm: »Hier ist alles kontaminiert. Was hier lebt, ist von Menschen eingeschleppt. Mich interessiert aber, wie sich das Leben in einer so kalten Umgebung frei gewordenes Land zurückerobert. Das werden zuerst Algen sein, die das Meer anschwemmt und die sich festsetzen, dann Flechten und dergleichen. Das ist hochspannend.«
Adrian hatte sein Logbuch auf dem Schoß. Auch heute noch, im Zeitalter der allgegenwärtigen Computer, verließen sich Forscher lieber auf ein handgeschriebenes Protokollbuch, hatte er Charlotte unterwegs erklärt. Er und Morley besprachen über einer großen Satellitenaufnahme der Insel, wie sie den Gletscher kartografieren wollten. Mit etwas Glück, meinte Adrian, würden sie in den Sommermonaten vielleicht eine Rutschung miterleben. Bei diesem Wort bekamen beide leuchtende Augen.
Charlotte fand die Vorstellung nicht ganz so berauschend, aber sie sagte sich, dass der Gletscher, soweit sie das verstanden hatte, ja nicht über die Hütte hinweg abrutschen würde. Sielagen hier gut geschützt hinter dem höheren der beiden Felsrücken. Am wahrscheinlichsten war ein Abrutschen entweder in Richtung Nordnordwest, in die Bucht zwischen den Teufelshörnern, oder nach Südsüdost, dem entgegengesetzten Ende.
Sie zupfte eine der Aufnahmen aus dem Stapel. Sie waren alle von einem mit Radar ausgestatteten Satelliten gemacht worden und zeigten das Relief der Felsstruktur unterhalb der Eismassen. Nahe des Zentrums der Insel, etwa vier Kilometer Luftlinie von der Hütte entfernt, war ein winziger dunkler Punkt zu sehen. Sie deutete darauf und fragte, ob jemand wisse, was das sei.
Adrian warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt in ihrer Hand. »Das ist eine Radaraufnahme. Dann dürfte das Eisenerz sein.«
Charlotte griff nach einer ähnlichen Aufnahme, die dem aufgedruckten Datum zufolge fünf Jahre älter war, und hielt sie daneben. »Gibt es Eisenerz, das sich bewegt? «
Jetzt blickten alle auf. Wenn man die beiden Bilder verglich, sah man, dass sich der dunkle Punkt nicht mehr an derselben Stelle befand wie vor fünf Jahren.
Morley machte eine wegwerfende Handbewegung. »Dann ist es ein Meteorit. Deswegen ist der Punkt so klein; normale Eisenerzvorkommen sehen so nicht aus. Er steckt im Eis und bewegt sich mit dem Gletscher.«
»Ein Meteorit?« Leon horchte auf. »Das ist ja faszinierend. Und so was kann in einem Gletscher eingeschlossen sein? Fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Sind solche Dinger nicht rot glühend, wenn sie die Atmosphäre passiert haben und auf das Eis aufschlagen? Der müsste doch durchschmelzen, oder?«
Morley schien das Thema alles andere als faszinierend zu finden. »Klar – er kommt auf, schlägt einen Krater ins Eis und versinkt. Wie tief, das ist eine Frage des Verhältnisses zwischen der Wärmekapazität des Meteoriten und der des Eises. Wasser kann nun mal ziemlich viel Wärme aufnehmen. Aber selbst wenn der Meteorit bis zum Grund durchgeschmolzen ist, wirder von einem wandernden Gletscher natürlich trotzdem weitertransportiert, als Teil des Geschiebes.«
»Könnten wir uns diese Einschlagstelle nicht mal ansehen?«, bat Charlotte. Leon nickte, ihn schien das auch zu interessieren.
»Wozu?« Adrian sah sie irritiert an. »Wir verstehen nichts von Meteoriten. Abgesehen davon, dass das Ding eh metertief im Eis steckt. Da dürfte kein Herankommen sein.«
Leon grinste. »Aber es gäbe tolle Bilder. Forschungsexpedition auf der Suche nach einem Meteoriten im ewigen Eis. So was fasziniert die Leute.«
Adrian rümpfte die Nase. »Dann soll Hollywood einen Film darüber drehen.« Er wandte sich wieder der großen Karte zu, zückte seinen Stift. »Also, Vorgehensweise: Wir stellen als Erstes unsere Messinstrumente auf. Anschließend packen wir das Schlauchboot aus und untersuchen die Küstenlinie rauf und runter, falls der Wind uns gnädig ist. Biologische Spuren, Zustand des Gletschers. Das ist das
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