Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
spezielle Flüssigkeit, die für den Einsatz in arktischen Gebieten entwickelt worden war; sie gefror erst bei Temperaturen von minus 70 Grad Celsius. Solche Temperaturen würden sie hier nicht erreichen. In den Sommermonaten würden zwischen minus zehn und minus zwei Grad herrschen, im Juli konnten sie auf Spitzenwerte von bis zu zwei Grad plus hoffen.
Da würden sie dann wahrscheinlich im T-Shirt rausgehen, dachte Charlotte fröstelnd.
Sie sahen sich das Plumpsklo noch mal an. »Das benutzen wir nicht«, entschied Adrian. »Wir stellen unsere Expeditionstoilette hier drinnen auf.« Sie hatten eine Toilette dabei, wie sie bei Antarktisexpeditionen verwendet wurde. Alle Exkremente wurden in speziellen Plastikbeuteln gesammelt und mit genau zu dosierenden Chemikalien übergossen. Sobald die Beutel gefüllt waren, verbrannte man sie.
Morley nahm sich des Ofens an. Erstens, weil er vom Schleppen erschöpft war und schon wieder bleich zu werden begann, zweitens, weil er von ihnen eindeutig der Technik-Crack war. Also beauftragte ihn Adrian, den Ofen aufzustellen und einzuheizen, eine Aufgabe, der er sich dankbar und zielstrebig annahm.
Erstaunlich, was für einen Unterschied es machte, ob ein Raum kalt wie ein Kühlschrank war oder von gemütlicher, bullernder Wärme erfüllt! Als endlich alles untergebracht war, Charlotte ihre dicke Daunenjacke ausziehen und aufhängen konnte und auf Socken in die gute warme Stube trat, war das fast besser als Weihnachten.
»Ich bin todmüde«, bekannte Angela.
Adrian sah auf seine Armbanduhr. »Kein Wunder, es ist ja auch zwei Uhr früh.«
Tatsächlich. Dass die Sonne nicht unterging, irritierte kolossal. Charlotte fühlte sich ebenfalls hundemüde, aber sie hatte es auf die Strapazen der Reise und das Schleppen der Kisten zurückgeführt. Ihrem Gefühl nach war es später Nachmittag. Doch das kam nur durch das Licht. Die Sonne wanderte einfach ringsherum den Horizont entlang, ein heller Fleck hinter dem eintönigen Grau, das den Himmel bedeckte.
Sie öffneten die Kiste mit der Aufschrift »Woche 1« und machten eine Gulaschsuppe warm. Dazu gab es kompakten, zahnfüllungsunfreundlichen Militärzwieback.
Es schmeckte himmlisch.
Adrian und Leon gingen noch einmal hinaus, um einen großen Topf voller Schnee zu besorgen, den sie auf dem Ofen schmolzen, damit sie am Morgen Wasser zum Waschen und für den Kaffee hatten. Wobei während ihres Aufenthalts hier nicht viel Körperhygiene stattfinden würde. Zähneputzen und ab und zu ein nasser Waschlappen, das musste genügen. Die nächste Dusche war für Ende September vorgesehen.
Aber Charlotte war so müde, dass ihr sogar das egal war. Sie kroch in ihren Schlafsack und war sofort weg.
Charlotte erwachte vom Klappern ihrer eigenen Zähne. Es war mühsam, sich zu bewegen. Sie fühlte sich, wie sich eine Rinderschulter im Gefrierfach eines Supermarkts fühlen musste. Mit klammen Fingern zerrte sie am Reißverschluss ihres Schlafsacks. Kleine Eiskristalle rieselten herab: Raureif, der sich auf der Außenseite gebildet hatte!
Sie sah sich blinzelnd um. Die anderen schliefen noch. Einer der Männer schnarchte: Morley, wie es ihr schien. An den Fenstern erstrahlten Eisblumen.
Das musste ein Albtraum sein. Ganz bestimmt war das ein Albtraum. Nie im Leben würde sie in dieser Kälte bis September durchhalten. Sie würde eine Lungenentzündung bekommen und sterben, und die anderen würden sie gefriergetrocknet mit nach Hause nehmen.
Sie verkroch sich noch tiefer in den Schlafsack, zog den Reißverschluss wieder zu, und wundersamerweise schlief sie wieder ein. Als sie das nächste Mal erwachte, geschah es, weil sie jemand rüttelte und sagte: »Aufstehen. Der Kaffee ist gleich fertig.« Und es war warm. Angela spazierte gerade splitternackt quer durch den Raum.
Sie hatten eingeheizt und in einer Ecke einen Vorhang aufgehängt, hinter dem man sich waschen konnte. Charlotte war noch so durchgefroren, dass sie es bei einer Katzenwäsche beließ. So cool wie Angela würde sie ohnehin nie werden.
»Wir können den Raum nicht durchgehend heizen«, erklärteAdrian beim Frühstück. »So viel Brennstoff haben wir nicht. Einmal am Tag, um uns durchzuwärmen, das muss genügen.«
»Meine Zahnpasta war heute Morgen gefroren«, erzählte Angela. Es schien sie zu belustigen.
»Meine Kontaktlinsenflüssigkeit auch«, bekannte Morley, weniger belustigt. Er blinzelte heute früh so kurzsichtig wie ein Maulwurf.
»Ihr müsst solche Sachen mit in den
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