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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Dringendste, was wir festhalten müssen.«
    Sie machten sich an die Arbeit. Für die meteorologischen Instrumente, die Windgeschwindigkeit, Temperatur, Niederschlag und so weiter messen würden, benutzten sie den Unterstand, der zweifellos seinerzeit die Geräte der sowjetischen Meteorologen beherbergt hatte. Morley installierte den mitgebrachten Generator im Lagerraum und schloss ihn an das bestehende Leitungssystem an, sodass sie die Glühbirne einschalten konnten und Strom auf den Steckdosen hatten. Anders als Adrian wollte er nicht auf seinen Laptop verzichten. »Den nehm ich auch mit in den Schlafsack«, erklärte er Charlotte, die derweil sauber machte, weil es sonst niemand tat. »Sagt man uns Geeks doch ohnehin nach, dass wir mit unseren Computern schlafen.«
    Charlotte lächelte dünn. »Sag bloß, der Stecker passt.«
    »Kein Problem«, erklärte Morley. »Die sowjetischen Stecker entsprechen mehr oder weniger dem heutigen Eurostecker, was immer uns das sagen will. Und dafür hab ich einen Adapter mit.«
    Der Wind erwies sich als ungnädig. Er blies heftig und unregelmäßig, im Norden ballte sich dunkles Gewölle in das helle Grau des Himmels, und das Meer schlug scharfe, frostige Wellen. »Ich würd das mit dem Boot verschieben«, meinte Leon, der als Steuermann fungieren sollte. »Das sieht nicht gut aus.«
    Adrian nickte. »Der Luftdruck ist ziemlich abgesackt. Besser, wir warten, bis das Wetter sich wieder beruhigt.« Er seufzte. »Gestern wäre es gut gegangen.«
    Also änderten sie den Plan für den Tag. Leon zog los, um Fotos zu machen, die beiden Klimatologen stiegen zum Felsrücken auf, um den Eispanzer in Augenschein zu nehmen, und Angela beschloss, die Vegetation in südlicher Richtung entlang der Küste zu begutachten. Charlotte bot an, ihr zu helfen.
    Große Strecken würden sie nicht zurücklegen. Angela ging alle paar Schritte in die Hocke, um irgendetwas am Boden zu betrachten. Wenn sie begeistert jauchzte, musste Charlotte ihr eine frische Plastiktüte reichen, in der sie dann Fetzen von graubraunem Felsbewuchs, glibberige Algenfäden oder dergleichen verstaute. Nebenher hielt sie ihr einen Vortrag über die Flora und Fauna der Polargebiete: Charlotte erfuhr unter anderem, wodurch sich eine Kältewüste auszeichnete, dass Flechten keine Pflanzen waren, sondern den Pilzen zugerechnet wurden, und dass es etwa fünfundzwanzigtausend verschiedene Arten davon gab, die Angela alle zu kennen schien.
    Es war beißend kalt, wenn man so am Ufer entlangbalancierte, über zerklüftete Felsen und glitschige Steine wackelte und sich immer wieder hinhocken und den Tragekoffer auspacken musste. Die Plastiktüten mit Handschuhen herauszuziehen brauchte man gar nicht erst zu probieren: Im Nu hatte Charlotte das Gefühl, dass ihr die Finger abfroren. Dabei hatte es gerade mal minus zehn Grad, das war doch gar nichts!
    »Das ist der Wind«, sagte Angela. »Adrian hat es mir erklärt. Der Wind trägt die Wärme deiner Haut schneller fort, und deshalb fühlen sich minus zehn Grad an wie minus zwanzig. Windchill heißt das.«
    Das zu wissen war beruhigend, wärmte allerdings auch nicht. Charlotte war froh, als Angela sie bat, die gesammelten Proben zur Hütte zu bringen und im Lagerraum zu deponieren.
    Die Hütte war zwar wieder ausgekühlt, aber es blies kein Wind, also war es darin vergleichsweise angenehm. Charlotte hatte keine Lust, gleich wieder rauszugehen. Sie blätterte ein wenig in dem alten Logbuch, entzifferte mühsam buchstabierend ein paar Einträge.
    Schaden am Generator. Behelfen uns mit Batteriestrom für die Funkmeldungen hieß es am 2. Oktober 1963 etwa, und eine Woche später: Gelungen, den Generator zu reparieren. Endlich wieder Licht zum Lesen! Wie mochte der unbekannte Verfasser dieser Zeilen sich bis dahin beholfen haben? War im Oktober schon Nacht? Charlotte wusste es nicht. Sie blätterte weiter, suchte sich aufs Geratewohl eine andere Stelle aus. 9. Mai 1966. Angefangen, Solochows ›Der stille Don‹ zu lesen. Ergreifend. Nobelpreis zu Recht erhalten.
    Charlotte schlug die vorderste Seite auf, betrachtete die Eintragungen. Das war unmöglich das offizielle Logbuch. In dem hätten bestimmt für jeden Tag mehrere Messwerte gestanden. Es war eher eine Art Tagebuch. Wenn ein Meteorologe Tagebuch schrieb, gehörten für ihn die aktuellen Wetterdaten sicher einfach dazu.
    Vielleicht lohnte es sich, wenn sie sich die Mühe machte, es durchzulesen. Nach und nach, natürlich. Zeit hatte sie ja,

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