Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Stellen. »Zumindest eben.«
»Ich fände es besser, wenn wir uns erst mal die Hütte anschauen«, sagte Leon. Er hob sofort beschwichtigend die Hände. »Ich meine nur. Kleiner Vorschlag eines Weltenbummlers. Der Vorteil einer Hütte ist, dass sie feste Wände hat. Besonders bei einem Schneesturm lernt man das schnell zu schätzen.«
Vor Charlottes innerem Auge blitzte die Vorstellung auf, wie ein wütender Sturm ihr Zelt niederriss und davontrug. Unfug natürlich; die Zelte, die sie mitgebracht hatten, waren sturmsicher gebaut. Aber es fröstelte sie trotzdem. Sie sah Adrian bittend an.
Der nickte gleichmütig. »Okay. Schauen wir sie uns an. Ehe wir lang diskutieren.«
Sie stapften hügelan, über knirschende Schneereste und rauen Fels. Man hätte einen Film hier drehen können, dachte Charlotte, der auf einem anderen Planeten spielt. Nichts wuchs hier, nicht einmal Flechten. Die braunen Felsbrocken waren nackt und kahl.
Aus der Nähe wirkte die Hütte auch nicht viel interessanter als aus der Entfernung: ein simpler Klotz aus grauem verwittertem Holz, mit einem schrägen Dach, aus dem ein blecherner Schornstein ragte, einer Bohlentür und einem einzigen kleinen Fenster in jede Richtung. Und sie war winzig, eine Unterkunft für ein, zwei Leute, die hier einen denkbar unbequemen Dienst verrichtet hatten.
»Das Hilton ist es nicht gerade«, meinte Adrian, als sie davor standen.
»Aber sie steht noch«, meinte Angela, die offenbar auch nichts gegen feste Wände gehabt hätte.
»Solche Hütten werden üblicherweise stabil gebaut, und die Kälte konserviert alles«, erklärte Leon. »Holzschädlinge und dergleichen haben keine Chance. Die Hütten, die Ernest Shackleton und Robert Scott vor über hundert Jahren in der Antarktisgebaut haben, stehen immer noch. Man könnte heute noch darin wohnen. Gut sogar.«
Angela sah ihn von der Seite an. »Woher weißt du das? Warst du da mal?«
Leon nickte. »Ich hab vor, na, fünf Jahren oder so eine Fotoreportage über die McMurdo Station gemacht, die amerikanische Forschungssiedlung am Ross Schelf. Fünf Wochen Antarktis. Da ist es knackig kalt! Dagegen ist hier Badesaison.«
Die Tür besaß kein Schloss. Sie wurde nur von einem simplen Riegel aus Holz zugehalten, von dem ein Bolzen durch einen Schlitz ging, um ihn auch von innen öffnen zu können. »Da pfeift garantiert der Wind rein«, meinte Adrian und öffnete die Tür.
Sie betraten einen Vorraum, in dem die Meteorologen, die zu Sowjetzeiten hier tätig gewesen waren, vermutlich ihre Schutzkleidung aufgehängt und ihre Stiefel abgestellt hatten. Die Tür rechts führte in einen Lagerraum, in dem noch ein Stapel Brennholz und zwei Säcke Kohlen standen. »Na, das sieht doch schon mal gut aus«, meinte Leon in geradezu wollüstigem Ton.
Hinter der Tür zur Linken befand sich ein enges, primitives Plumpsklo. Auch hier roch man nichts, die Kälte hatte wohl alle Exkremente konserviert.
»Sieht so aus, als hätte man einfach Ätzkalk drübergeschüttet«, meinte Angela nach einem fachfraulichen Blick in das Loch.
Durch die dem Eingang gegenüberliegende Tür gelangten sie schließlich in den eigentlichen Wohnraum. Mitten darin stand ein schwerer gusseiserner Ofen, auf dem man seinerzeit bestimmt auch gekocht hatte.
Charlotte hatte erwartet, einen Raum zu betreten, in dem es muffig roch, nach alter Wäsche, feuchtem Holz und abgestandener Luft – aber nichts dergleichen. Es roch nach … überhaupt nichts. Zunächst einfach, weil keine Wäsche da war, die hätte muffig riechen können – die einzigen Gegenstände aus Stoff waren zwei Matratzen auf zwei Betten, die über Eck standen. Das Holz war trocken von der Kälte. Und der Wind war vermutlich,trotz aller Bemühungen der Erbauer dieser Unterkunft, auf Dauer doch stark genug gewesen, um immer wieder für Luftaustausch zu sorgen.
»Kuschelig«, meinte Angela. »Wir Mädchen kriegen die Betten.«
Adrian schien auch angetan. »Ich muss zugeben, das hab ich mir schlimmer vorgestellt. Essensreste überall, Ratten, die über den Fußboden tanzen und so weiter.« Er blickte zu einem Bild Lenins auf, das gerahmt an der Wand hing. »Okay. Schaffen wir die Ausrüstung her.«
Morley ging vor dem Ofen in die Hocke und öffnete eine Klappe. »Ziemlich basic technology . Mal gespannt, wie wir damit zurechtkommen.«
»Vorsicht«, sagte Leon. »Wir müssen uns das Kaminrohr genau anschauen, ehe wir den Ofen in Betrieb nehmen. Das könnte verrußt oder sonst irgendwie
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