Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
beiden Buben, von denen der ältere sechs oder sieben sein mochte. »Sind das etwa deine?«
Dorothy nickte. »Nathan und Matthew.«
»Du bist also verheiratet.«
»Ja. Schade, dass Jim schon ein paar Tage eher zurückmusste, sonst hättest du ihn gleich kennenlernen können. Er ist IT-Spezialist, da gibt’s zum Jahreswechsel immer irgendwelche Probleme. Wir waren über Weihnachten bei meinen Schwiegereltern hier. Die Kinder lieben das, den Strand vor allem …«
»Das kann ich mir vorstellen.« Aber eigentlich konnte er es nicht.
»Und du?« Sie musterte ihn.
Und er? »Na ja«, meinte Hiroshi.
»Hast du …«, begann sie, biss sich auf die Lippen, fragte: »Bist du glücklich geworden?«
Hiroshi sah sie an. Sie war es zweifellos: glücklich.
»Nein«, gestand er. »Nein, bin ich nicht.« Ganz und gar nicht. Er hielt inne, dachte zurück, an alles, was geschehen war, was er getan hatte. »Dorothy … es tut mir leid wegen damals. Ich hätte nicht anders handeln können. Aber ich hätte es … taktvoller tun sollen.«
Dorothy musterte ihn einen Moment lang, unergründlich, und versicherte ihm, es sei in Ordnung, sie trage ihm nichts nach. Und dann musste sie schon aufbrechen, zumindest sagte sie das, für ihren Flug nach Portland.
Sein Flug ging nach Los Angeles und erst eine Stunde später, sodass er viel Zeit hatte nachzudenken. Auch auf dem Weiterflug tat er nicht viel anderes. Konnte dieses Wiedersehen Zufall sein, wenn das mit Charlotte damals keiner gewesen war? Es wäre intellektuell unredlich gewesen, sich das so zurechtzubiegen. Hiroshi hatte das deutliche Gefühl, dass ihm das alles etwas sagen wollte – er verstand nur nicht, was.
Was er auch gerne gewusst hätte, war, wie Dorothy heute über die Sache damals dachte. Über jenen Sonntagmorgen, an dem er so brutal mit ihr Schluss gemacht hatte. Ob sie heute froh war, dass es so gekommen war, weil sie andernfalls nicht glücklich mit ihrem Jim verheiratet gewesen wäre und es Nathan und Matthew nicht gegeben hätte? Oder ob sie es in einem versteckten Winkel ihres Herzens doch noch bedauerte, ein ganz kleines bisschen zumindest? Das hätte er wirklich gerne gewusst.
Aber so viel Zeit war nicht gewesen, und die Situation hatte auch nicht zu derartigen Fragen eingeladen. Zwar hatte er jetzt ihre Telefonnummer – sie lebte in Oregon –, doch irgendwie wusste er, dass er sie das nie fragen würde. Und sei es nur, umsich die Illusion zu bewahren, dass dieser Jim, den kennenzulernen er nicht die geringste Lust verspürte, letzten Endes nur ein Ersatz gewesen war.
Wenn er auf sein Leben zurückblickte, auf alles, was geschehen war, erschien ihm in diesem Augenblick alles überschaubar, alle Ereignisse und Entscheidungen von unausweichlicher Folgerichtigkeit. Doch das half ihm nicht weiter. Als er in Los Angeles landete, war er immer noch so ratlos wie vor dem Flug.
Dafür war er beim Aussteigen so in Gedanken versunken, dass er die Männer, die auf ihn warteten, erst bemerkte, als es schon fast zu spät war.
Bud, dem es gefiel, wenn ihn die anderen The Brain nannten, hob sein Funkgerät an die Lippen. »Bingo. Er steht in der Schlange vor der Passkontrolle.«
Er hatte keinen Zweifel, dass das der Mann war, den sie suchten. Zwar war es nicht gerade einfach, Japaner voneinander zu unterscheiden, aber er hatte sich in die Fotos vertieft wie ein Bekloppter; er hätte den Typ selbst mit falschem Bart und Sonnenbrille erkannt.
Ziemlich clever, wie Coldwell das anpackte. Nicht nur, dass er tatsächlich Kontakte zum Heimatschutzministerium hatte und damit zu der Stelle, die die Daten aller Flugpassagiere sammelte, die nach Amerika kamen – nein, auch die Sache mit den verschiedenartigen Schreibweisen japanischer Namen: Da musste einer erst mal drauf kommen. An so was merkte man, dass Coldwell ziemlich lange in Asien gelebt hatte. Er kannte die ganzen Tricks.
Es war fast schon langweilig, wie einfach das laufen würde.
Er hob das Funkgerät wieder, das verschlüsselt funkte und selbstredend völlig illegal war. »Bud an alle. Wir schnappen ihn uns, wenn er aus dem Zoll kommt. Gruppe Blau wartet im Gang rechts, Gruppe Gelb im Gang links. Und denkt dran: Es soll möglichst unauffällig ablaufen.«
Im Grunde war das eine überflüssige Durchsage, denn siehatten auf der Herfahrt alles haarklein durchdekliniert. Aber ein paar von seinen Jungs waren eher Muskeln als Hirn, da konnte es nicht schaden, die Details noch mal in Erinnerung zu rufen.
Jetzt stand
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