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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Hunderten scharfer Falten durchfurcht, Sorgenfalten allesamt. Zusammen mit seinen ausgeprägten Tränensäcken erinnerte er an einen melancholischen Hund, einen Boxer vielleicht.
    »Ich weiß nicht«, bekannte Charlotte. »Ich spüre irgendwie gar nichts.« Sie fasste an ihren Verband. »Sie haben mich operiert?«
    »Wir mussten.« Noch mehr Sorgenfalten, noch mehr Traurigkeit. »Sie haben einen Tumor am Hirnstamm, der ungefähr so groß war.« Er deutete mit den Händen in etwa die Umrisse eines Hühnereis an. »Er hat auf Ihr Gehirn Druck ausgeübt und so Ihre Ohnmacht ausgelöst. Wir haben entfernt, was zu entfernen war – aber leider war das nicht einmal die Hälfte.«
    Charlotte wartete darauf, dass irgendein Gefühl einsetzte, Angst, Panik, Entsetzen oder so etwas, aber da war nichts. Nur eine große, gleichgültige Leere.
    »Das klingt … nicht gut«, sagte sie schließlich.
    »Es ist auch nicht gut. Nach allen Maßstäben heutiger Medizin ist Ihr Tumor inoperabel. Vermutlich hat er auch bereits Metastasen abgesetzt. Das Einzige, was wir versuchen können, ist eine starke Chemotherapie.«
    »Mit was für Aussichten?«
    »Schlechten.«
    Jetzt endlich stieg ein Gefühl auf. Eine sanfte, stille Traurigkeit. »Ich bin doch erst vierunddreißig«, sagte Charlotte leise.
    Der Arzt sah sie so leidvoll an, als sei sie sein eigen Fleisch und Blut. »Leider, Señora , ist das in diesem Fall kein Vorteil. Wenn Sie Krebs haben, ist die Prognose umso besser, je älter Sie sind. Weil die Zellen sich in der Jugend noch sehr schnell teilen, verstehen Sie?«
    »Wann soll es losgehen?«
    »In ein paar Tagen. Sobald Ihre Operationswunde gut genug verheilt ist.«
    Am nächsten Morgen tauchte ihre Mutter auf. Mutter! Es kam Charlotte irgendwie unwirklich vor, sie an ihrem Bett stehen zu sehen.
    » On va t’amener à Paris «, sagte sie.
    Charlotte erschrak. Nach Paris? In die Obhut ihrer Mutter? In diese Wohnung womöglich, die ein Museum der Familiengeschichte war, ach was, ein Familien grab ? »Ich will nicht nach Paris.«
    »Red keinen Unsinn. Du gehörst in die Hände der besten Ärzte der Welt, und das so schnell wie möglich«, erklärte sie mit derartiger Bestimmtheit, als müsse der Tumor in Argentinien zurückbleiben und sich ein anderes Opfer suchen, wenn sie nur rasch genug aufbrachen. »Dein Vater spricht gerade mit dem Chefarzt.«
    »Ich will aber nicht«, wiederholte Charlotte.
    Mutter sah sie ungläubig an. »Was soll das heißen?«
    »Dass ich hierbleibe.«
    »Hier?« Sie sagte es auf eine Weise, die dieses eine Wort wie Hier? Am Ende der Welt? Bei den Wilden? klingen ließ.
    Später tauchte endlich Brenda wieder auf. »Was ist denn mit deiner Mutter los?«, wollte sie wissen. »Ich bin ihr auf dem Flur begegnet. Sie war ganz … ich weiß nicht. Habt ihr gestritten?«
    Charlotte schluckte. »Brenda?«, bat sie leise und mit dem Gefühl, sich etwas Ungehöriges anzumaßen, »ich würde gern … Darf ich …?«
    Brenda riss die Augen auf. »Was denn?«
    »Darf ich noch eine Weile bei euch bleiben?«
    Brenda schluchzte los, fiel ihr um den Hals. »Bleib«, flennte sie. »Bleib, so lange du willst.«
    Die Direktflüge in die USA waren so kurz nach Silvester alle aus gebucht. Hiroshi musste einen Flug über Hawaii nehmen, wo er drei Stunden Aufenthalt hatte. Drei Stunden, die es irgendwie herumzubringen galt. Er hielt zunächst Ausschau nach Videokameras und Verfolgern. Videokameras entdeckte er reichlich, Verfolger keine, was daran liegen mochte, dass da keine waren, oder daran, dass er keine Ahnung hatte, wie man Verfolger erkannte.
    Als er seine Paranoia ausreichend gepflegt hatte, ging er in eines der Restaurants im Transitbereich. Während des Fluges hatte es geradezu lächerlich wenig zu essen gegeben, und ein Hamburger war jetzt besser als nichts.
    Viel war nicht los um diese Zeit. Zwei Tische weiter saß eine Frau mit zwei Kindern, Jungs, die mit Pommes und irgendwelchen gebackenen Teilen beschäftigt waren, die man in Soße tunkte. Die Frau sah zu ihm herüber, einen Tick zu lange, als dass es nur ein Blick gewesen wäre, den man einem Fremden zuwarf.
    Hiroshi musste zweimal hinschauen, ehe ihm klar wurde, dass er diese Frau kannte.
    »Dorothy?«, fragte er verdutzt.
    Sie lächelte. Es war ein seltsames Lächeln, in dem sich Schmerz und Erleichterung mischten. »Hallo, Hiroshi. Ich war mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher …«
    Er konnte es nicht fassen. »Was machst du denn hier?« Er betrachtete die

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