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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Männer in Boston scharf auf sie sind? Alle, würde ich sagen. Und das ist eher konservativ geschätzt.«
    Hiroshi blinzelte überrascht. Das war ihm gar nicht aufgefallen. Okay, ja, sie hatte ganz gut ausgesehen – aber so gut …?
    Nun, es war ja auch Nacht gewesen und dunkel.
    »Davon abgesehen«, fuhr Rodney erbarmungslos fort, »ist besagte Charlotte Malroux, wie offenbar jeder außer dir weiß, mit einem gewissen James Michael Bennett III. zusammen, der, wie der Name ganz richtig vermuten lässt, aus höchsten Kreisen stammt, aus dem ältesten Geldadel Bostons. Sagt dir der Name Bennett Industries etwas? Genau. Das ist der Erbe. Und als würde es nicht genügen, steinreich zu sein, sieht er auch noch sagenhaft gut aus und ist ein Crack in einem halben Dutzend Sportarten. Unter anderem ist er der Quarterback der Harvard-Football-Mannschaft, mehrmaliger Harvardmeister im Golf, Stürmer in der Polo-Mannschaft und was weiß ich noch alles.« Rodney seufzte abgrundtief. »So leid es mir tut, aber ich sehe beim besten Willen nicht, wie du mit dem konkurrieren könntest.«
    »In solchen Kategorien denke ich nicht«, erklärte Hiroshi.
    »Aber Frauen denken in solchen Kategorien.«
    »Nicht alle, hoffe ich.«
    Rodney ächzte hilflos. »Träumer.«
    Hiroshi nickte. »Stimmt genau. Und? Alles Große beginnt mit einem großen Traum. War schon immer so.«
    »Junge, die Frau hat sich einen zukünftigen Milliardär geangelt, womöglich sogar einen zukünftigen Senator, Gouverneur oder Präsidenten. Und denk bloß nicht, dass der Kerl schlechter vögelt als unsereins; was man so hört, hat er eine Menge Übung. Glaubst du, irgendeine Frau auf der Welt lässt so jemanden sausen, nur weil sie eine alte Sandkastenliebe wiedertrifft?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich. Das mit Dorothy wird dir noch mal leid tun.«
    Hiroshi hatte mit wachsendem Ingrimm zugehört. Er spürte,wie jene Wut aus Kindertagen, jene Wut auf die Welt, wie sie war, wieder in ihm hochstieg, als wäre sie nie vergessen, nie verschwunden gewesen. »Seit ich ein Kind war, sagen mir Leute, dass mir irgendwas irgendwann noch mal leid tun würde, dass ich schon sehen würde, was ich davon habe«, knurrte er. »Ehrlich – ich kann’s nicht mehr hören.«
    Rodney warf ihm einen eigenartigen Blick zu. Im nächsten Moment pingte die Backofenuhr, weil es an der Zeit war, die Tortillas herauszuholen.
    »Lass uns essen«, meinte Rodney friedfertig. »Was macht der Kaffee?«
    Nach dem Aufwachen blieb Charlotte noch eine Weile liegen, starrte an die Decke und wartete, bis sie sicher war, Traum und Realität voneinander unterscheiden zu können.
    Das Wiedersehen mit Hiroshi war kein Traum gewesen. Auch nicht, dass sie die ganze Nacht geredet hatten, zum Teil sogar wieder auf Japanisch, das sie schon ewig nicht mehr gesprochen hatte.
    Sie fasste sich in die Haare, die sich wild zerzaust anfühlten, beinahe verfilzt. Sie hatte vor dem Schlafengehen heute früh noch kurz geduscht, aber nicht mehr geföhnt, nicht gründlich jedenfalls, dazu war sie zu erledigt gewesen.
    Einen Moment überlegte sie, wo James eigentlich abgeblieben war, dann fiel ihr wieder ein, dass er heute seine Eltern besuchen wollte. Auf die Party gestern hatte er nicht mitgewollt mit der Begründung, da werde womöglich »einer von uns eifersüchtig«. Er hatte sich irgendwo anders verabredet, und so war sie mit ein paar Kommilitoninnen gegangen, die sie im Lauf des Abends aus den Augen verloren hatte.
    Seltsam zu denken, dass sie und Hiroshi sich, wäre es anders gelaufen, verpasst hätten.
    Seltsam auch zu überlegen, dass sie beide schon seit Jahren in Boston lebten und sich nie über den Weg gelaufen waren.
    Am seltsamsten aber fand sie, dass sie einander auf Anhieberkannt hatten. Obwohl sie damals in Tokio beide noch Kinder gewesen waren.
    Charlotte wälzte sich herum, betrachtete die drei Puppen auf dem Regal über dem Kopfende des Bettes. Hiroshi war gerührt gewesen, als sie ihm erzählt hatte, dass sie die Puppe, die er aus dem Müll gefischt und repariert hatte, noch immer besaß. Valérie. Allerdings hatte sie sie nicht mit in die USA genommen – die drei Puppen hier stammten von einem Kunsthandwerkermarkt in South Boston –, sondern in Paris deponiert, in der Wohnung ihrer Eltern, in der diese quasi nie wohnten. Ihr Vater hatte seit Kurzem endlich den ersehnten Posten in Moskau inne, bemühte sich sogar tatsächlich, Russisch zu lernen, zur Verblüffung und zum Leidwesen seiner

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