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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Umgebung.
    Maman hatte ihr erst vor ein paar Jahren gestanden, dass sie die Briefe, die Charlotte nach dem unerwartet abrupten Umzug nach Argentinien an Hiroshi geschrieben hatte – lange Briefe auf Englisch, wobei sie sich viel Mühe gegeben hatte, die Buchstaben sorgfältig und gut lesbar zu malen –, niemals abgeschickt hatte. Weil Charlotte »diesen Jungen« vergessen sollte.
    Und sie war so enttäuscht gewesen, dass er ihr nicht geantwortet hatte!
    Nach Mamans Geständnis hatte Charlotte es noch einmal versucht. Aber da hatte Hiroshis Mutter schon nicht mehr für die Botschaft in Tokio gearbeitet, und es war nicht gelungen, ihre neue Adresse zu ermitteln. So war auch das im Sande verlaufen, und ab da hatte sie Hiroshi tatsächlich vergessen.
    Hatte sie zumindest geglaubt.
    Nie im Leben hätte sie erwartet, dass sie einander so viel zu erzählen hatten!
    Eigentlich, erkannte sie, war es das, was diese Begegnung so unheimlich machte.
    Ach, genug gegrübelt. Sie strampelte die Decke von sich, sprang aus dem Bett, streifte den Pyjama ab und machte, dass sie unter die Dusche kam, eine lange, heiße Dusche. Danach kuschelte sie sich, in ihren Bademantel gehüllt, noch einmalins Bett und rief Brenda an, ihre beste Freundin, der sie sowieso immer alles erzählte.
    Die lachte nur. »Sieht so aus, als würdest du hier in Harvard alle Leute versammeln, die du bisher in deinem Leben getroffen hast«, meinte sie.
    »Ja«, gab Charlotte zu. »Sieht so aus.« Sie und Brenda Gilliam hatten sich angefreundet, als sie beide in Delhi gelebt hatten; danach hatten sie sich aus den Augen verloren. Erst als sich abzeichnete, dass Charlotte nach Harvard gehen würde, hatte sich wieder ein Kontakt ergeben, dank des Zufalls, dass Brendas Vater hier an der medizinischen Fakultät lehrte.
    Vielleicht gab es weniger Zufälle im Leben, als man glaubte.
    Ihr Blick fiel auf ein gerahmtes Foto auf dem Regal, das sie und James auf einem Gartenfest zeigte. Zum ersten Mal fragte sie sich, warum sie es eigentlich aufgestellt hatte. »Die Frage ist, was ich jetzt mit ihm mache.«
    »Das ist doch nicht so schwer«, meinte Brenda unbekümmert. »Ihr macht da weiter, wo ihr aufgehört habt. So haben wir es schließlich auch gemacht, als du hier aufgetaucht bist.«
    »Und wenn das nicht geht?«
    »Dann weißt du Bescheid. Dann ist es eben abgeschlossen.« Brenda war in solchen Dingen unnachahmlich praktisch veranlagt. Sie hätte eine großartige Kummerkasten-Tante abgegeben. »Falls dir nichts anderes einfällt, kannst du ihn nächsten Samstag mitbringen. Bei einem Umzug hat man nie zu viele starke Männer dabei.«
    Charlotte merkte, dass sie den Telefonhörer fester umklammerte, als es nötig war. Sie lockerte den Griff, atmete durch. Immer wenn das Gespräch auf Brendas bevorstehenden Umzug kam, wurde sie das Gefühl nicht los, dass dieser Schritt etwas mit ihr zu tun hatte.
    Das obligatorische erste Jahr in einem der Freshmen-Dormitories auf dem Old Yard war für Charlotte ein Albtraum gewesen. Ja, natürlich, zweifellos stärkte es das Zusammengehörigkeitsgefühl und war gut für den Erfolg des Studiums, mit anderenzusammen zu sein, zusammenzuleben, sich auszutauschen, Freundschaften fürs Leben zu schließen. Nur dass ihr das eben nicht so leichtfiel. Wenn sie nicht für sich sein konnte – und das konnte man in einem Zweibettzimmer nun einmal nicht –, dann fühlte sie sich rasch ausgeliefert, schutzlos, verletzlich und alles andere als in der Lage, Freundschaften fürs Leben zu schließen. Auch wenn es stimmte, dass Al Gore und Tommy Lee Jones sich in Harvard das Zimmer geteilt hatten.
    So hatte sie sich im zweiten Jahr eine eigene Wohnung in der Stadt gesucht. Seither wohnte sie in Somerville, etwa drei Kilometer von Harvard entfernt. Sie zahlte hier wesentlich mehr Miete, doch falls sie sich irgendwann endlich aufraffte, die letzten Umzugskisten zu leeren und sich passende Möbel zu kaufen, würde sie es richtig gemütlich haben.
    Auf jeden Fall aber hatte sie hier wesentlich mehr Ruhe als in Holworthy Hall. Und das mit den Freundschaften fürs Leben – das sah man ja an Brenda und womöglich auch an Hiroshi –, das funktionierte bei ihr vielleicht sowieso irgendwie anders.
    »Also, ehrlich gesagt ist Hiroshi eher der schmächtige Typ«, sagte Charlotte.
    »Bring ihn trotzdem mit.«
    »Ich schau mal, was sich machen lässt.«
    Sie versuchte sich vorzustellen, wie James und Hiroshi auf einander reagieren würden. James sprach zwar eher

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