Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
als Finite-Elemente-Modelle beschreiben und so fort; ein Aufwand, der meiner Schätzung nach – Sie finden die Zahlen im Anhang B – die Kosten für einen Laborversuch mit real konstruierten Geräten drastisch übersteigen würde.«
»Verstehe, verstehe.« Professor Bowers nahm die Brille ab und studierte, an einem der Bügel kauend, eine mit Formeln übersäte Seite von Hiroshis Projektantrag. »Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Aber das Problem sind natürlich die dennoch wesentlich höheren Kosten. Das kann ich Ihnen nicht einfach so zusagen, zumal das Genehmigungsverfahren für Ihr ursprüngliches Projekt ja noch läuft.«
Hiroshi blieb reglos sitzen. »Das letzte Mal haben Sie gesagt, das sei nur eine Formalität.«
»Ja. Aber eine Ausdehnung des Budgets um das Zehnfache ist keine Formalität mehr.« Professor Bowers setzte die Brille wieder auf, legte Hiroshis Antrag vor sich auf den Tisch, faltete die Hände darüber und erklärte: »Ich werde das weiterleiten. Sie hören von mir.«
»Miss Malroux?«, fragte Dr. Thomas Wickersham am Dienstag nach dem Seminar, »kann ich Sie noch einen Moment sprechen?«
Charlotte blieb stehen. Sie schaffte es, nicht zu seufzen. Also passierte es nun doch, genau, wie sie es immer befürchtet hatte.
Sie wartete, während die anderen den Seminarraum verließen. Manche warfen ihr noch einen wissenden Blick zu, in manchen Gesichtern las sie auch Spott: Das würde jetzt ziemlich sicher ziemlich peinlich werden.
Dr. Wickersham hatte lebhafte, freundliche Augen, trug einenulkigen Spitzbart, und es schien ihn nicht zu bekümmern, dass seine Stirn, obwohl er noch jung war, bedenkliche Fortschritte machte, sich auf seinen Schädel auszudehnen. Er genoss einen hervorragenden Ruf als Paläoanthropologe, war viel im Nahen Osten unterwegs gewesen, beherrschte eine erstaunliche Anzahl der dort üblichen Sprachen und veröffentlichte in den angesehensten Zeitschriften. Seine Seminare waren immer fesselnd, was sie einzig seiner Fähigkeit verdankten, ebenso fundiert wie anschaulich erzählen zu können.
Aber man hatte in letzter Zeit mehr als deutlich gemerkt, dass Dr. Wickersham ein Faible für Charlotte hegte.
»Ich möchte Sie gern etwas fragen«, begann er, als alle gegangen waren. Die Tür zum Flur stand noch offen. »Mir ist klar geworden, dass ich es mir nicht verzeihen würde, würde ich Sie das nicht fragen, also habe ich mir gesagt, besser, ich tue es so bald wie möglich. Und natürlich will ich nicht versäumen vorauszuschicken, dass Ihre Antwort keinerlei Auswirkungen auf Ihre Noten oder sonst irgendetwas im Zusammenhang mit diesem Seminar oder Ihrer Ausbildung in Harvard haben wird, ganz egal, wie sie ausfällt.«
Charlotte sah ihn unglücklich an. »Ja?«
»Würden Sie mir einmal die Freude machen, mit mir auszugehen?« Als käme ihm die Kühnheit seines Ansinnens erst in diesem Moment zu Bewusstsein, fügte er hastig hinzu: »Ich weiß wenig über Sie, Miss Malroux, viel zu wenig – nur, dass Sie die Tochter eines französischen Diplomaten sind, dass Sie seit Ihrer Kindheit viel in der Welt herumgekommen sind … Ich stelle mir vor, dass Sie ein ungewöhnliches Leben geführt haben. Ich würde gern mehr darüber erfahren. Und am liebsten bei einem guten Essen.«
Er stand auf der anderen Seite des Lehrertischs, wenigstens vier Meter von ihr entfernt – trotzdem ging er in diesem Moment ein beträchtliches Risiko ein. In Harvard wurden Beziehungen zwischen Mitgliedern des Lehrpersonals und Studenten mit äußerstem Misstrauen betrachtet, ja, waren im Grunde untersagt.Es galten strenge Richtlinien gegen sexuelle Belästigung, in Charlottes Augen jenseits der Grenze zur Paranoia angesiedelt. Sie hatten zur Folge, dass männliche Professoren penibel darauf achteten, niemals mit einer Studentin alleine zu sein. Wenn Charlotte jetzt einfallen sollte, schreiend auf den Flur zu rennen und zu behaupten, Dr. Wickersham habe sie belästigt oder gar angefasst, dann half ihm nichts mehr; dann war seine Karriere zu Ende.
»Doktor Wickersham«, sagte Charlotte behutsam, »das ist ein sehr freundliches Angebot, aber es ist so, dass ich mich demnächst verloben werde, und ich weiß nicht –«
Er schluckte, schüttelte hastig den Kopf. »Oh, das macht es ja nur umso dringender! Bitte glauben Sie mir, es geht wirklich nur um … ein Gespräch, eine gepflegte Unterhaltung, von Mensch zu Mensch …« Er holte tief Luft. »Ich könnte einen Tisch im Cloud Eight bekommen, am
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