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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hatte, war nichts, auf das er stolz sein konnte. Es hatte sein müssen, sich von ihr zu trennen, ja – aber er hätte es irgendwie anders machen müssen, irgendwie besser. Wenn er auch nicht wusste, wie.
    Schließlich drängte Charlotte zum Aufbruch.
    »Wie weit sind wir eigentlich schon?«, fragte Hiroshi, während er seine Füße äußerst behutsam abtrocknete.
    »Zweieinhalb Millionen Jahre«, erwiderte sie.
    »Und wie weit willst du noch? Bis zum Urknall?«
    Charlotte zurrte die Halterung ihres Rucksacks zurecht. »Es dauert nicht mehr lange. Eine Stunde oder so.«
    So marschierten sie weiter, langsamer, schweigsamer. Die Bäume wichen zurück, die Sonne glühte. Autos rollten vorbei, hupten ab und an grüßend, begleitet von aufmunternden Gesten der Fahrer.
    Und dann, endlich, blieb Charlotte stehen und sagte: »So. Jetzt ist es so weit. Jetzt kann ich dir erklären, warum ich Anthropologie studiere. Ausgerechnet Anthropologie.«
    Hiroshi hätte zu gern einen Stab gehabt, um sich darauf zu stützen. »Das war nur so eine Frage«, meinte er. »Wenn ich geahnt hätte, dass sie so aufwendig zu beantworten ist, hätte ich sie nicht gestellt.«
    Charlotte ging nicht darauf ein. Sie deutete auf eine Stelle am Straßenrand, an der die Überreste eines verunglückten Tieres lagen, das eine Katze gewesen sein mochte oder zumindest ein Tier in dieser Größe. »Wir sind jetzt knapp zwanzig Meilen gegangen«, erklärte sie, »was zweiunddreißig Kilometern entspricht und damit 3,2 Millionen Jahren. Vor 3,2 Millionen Jahren hat im heutigen Äthiopien eine Frau gelebt – oder besser gesagt, ein weibliches Exemplar der Spezies Australopithecus afarensis , einer der ersten menschenähnlichen Arten –, deren Knochen nach ihrem Tod erhalten geblieben sind. Sie wurden 1974 ausgegraben, und seither nennt man sie Lucy. Das Besondere an diesem Fund ist, dass so viele Knochen eines einzigen Skelettes gefunden wurden, fast vierzig Prozent. Auf diese Weise war es möglich nachzuweisen, dass Lucy bereits überwiegend aufrecht gegangen ist.«
    Charlotte drehte sich um, wandte sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Nun stell dir vor, wir würden zurückgehen, den ganzen Weg – keine Sorge, das werden wir nicht, aber stell es dir vor. Wir beginnen bei Lucy, der ältesten Eva, die die Wissenschaft kennt, und gehen den ganzen Weg der menschlichenEvolution mit, die ganze lange Zeit, in der Millionen und Abermillionen von Menschen geboren werden, Kinder zeugen und sterben. Sie überleben Eiszeiten, Seuchen, andere Katastrophen. Sie wandern über die Erde, von Afrika nach Europa, nach Asien, schließlich bis nach Amerika und Australien. Denk an den ganzen Weg, die ganze lange Strecke – und dann denk an die letzten fünfzig Schritte bis zur Statue John Harvards. Gerade mal fünfzig Schritte, das ist die Geschichte der menschlichen Kulturen, die wir kennen. Wie wahrscheinlich ist es, dass das wirklich alles ist, was es an Zivilisationen gegeben hat? Dreißig Kilometer – denk nur, wie viel Platz da wäre für noch mal fünfzig Schritte! Wie mühelos da andere, ältere Zivilisationen hineinpassen würden, von denen wir nur nichts mehr wissen!«
    Hiroshi hatte sich ebenfalls umgedreht, schaute ebenfalls zurück und versuchte, sich den Weg ins Gedächtnis zu rufen, den sie zurückgelegt hatten. Geometrisch gesehen hatte sie recht: Fünfzig Schritte, das war inzwischen gar nichts mehr. Eine Distanz, die sie auf der Suche nach einem Sitzplatz zurücklegten, ohne darüber nachzudenken. Und doch entsprach diese Distanz der Zeit seit den Pharaonen.
    »Aber warum wissen wir nichts mehr von ihnen?«, fragte er schließlich. »Müssten solche Zivilisationen nicht Spuren hinterlassen haben?«
    Charlotte wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Vielleicht haben sie das, und wir erkennen sie nur nicht. Nimm eine CD. Angenommen, sie wird unter einem Haufen Müll begraben, unsere Zivilisation geht unter, und in zehntausend Jahren gräbt sie jemand wieder aus: Wofür wird er sie halten? Für einen Spiegel vielleicht. Oder ein Schmuckstück. Dass darauf Daten sind – wie sollte er das erkennen? Wie sollte er die Daten interpretieren? Unmöglich. Vielleicht hat er ein Klavierkonzert von Saint-Saëns gefunden, vielleicht die Software einer Textverarbeitung – aber niemand wird die Musik zu hören bekommen, niemand die Textverarbeitung benutzen können.«
    »Ich dachte eher an … Bauwerke oder dergleichen. An großeDinge. Die nicht so schnell

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