Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Suchen zu helfen …
Unnötige Planspiele, erkannte er im selben Moment, in dem Terry abschlug. »Ups«, entfuhr es ihr. Gemeinsam verfolgten sie, wie der Ball in einem hohen Bogen auf den Wald zuflog und zwischen den Wipfeln verschwand.
»Bring ich dich derart durcheinander?«, fragte James amüsiert.
»Sieht so aus«, meinte Terry kleinlaut.
»Dann helf ich dir suchen.«
»Du bist ein Schatz.«
Als sie in das Unterholz eindrangen, tastete James verstohlen nach dem Kondom in seiner Hosentasche. Es war noch da, griffbereit. Gut. Jetzt war Terry-Mäuschen nämlich fällig.
Das Gebüsch leistete Widerstand, zerrte an ihren Klamotten, zerkratzte ihre Haut. Ringsum knackte und raschelte es: Tiere, die Besuch nicht gewohnt waren. Außerdem war es heiß. Sie schwitzten, und sofort kamen Mücken aufgeregt angeschwärmt.
»Wie will man eigentlich vom Wald aus den Ball weiter schlagen?«, wunderte sich Terry irgendwann. »Das geht doch gar nicht.«
Das machte man auch nicht so. Für solche Fälle führte man ja die Ersatzbälle mit sich. Streng genommen erlaubten die Regeln höchstens fünf Minuten Suche, und in der Zeit fand man einen Ball in dem Waldstück ohnehin höchstens durch unverschämtes Glück. Aber die Regeln waren so ungefähr das Letzte, worauf es im Moment ankam.
»Bleib mal stehen«, sagte James.
Sie hielt inne, wandte sich um, sah ihn mit großen Augen an. Sie glänzte vor Schweiß. Dies war ein guter Platz: eine winzige Lichtung, ein flirrendes Spiel von Licht und Halbschatten, der Boden bedeckt mit Moos und kleinen weißen Blumen, die alles in betörend süßen Duft tränkten.
»Ein Lämmchen«, erklärte James und nahm sie in die Arme, »sollte nicht allein mit einem Wolf in den Wald gehen.« Sie war wie gelähmt, leistete keinen Widerstand. »Schon gar nicht klatschnass am ganzen Körper …« Er beugte sich zu ihr hinunter, küsste ihren Hals und schob die Hände an ihren Flanken hinab und unter ihr knallrotes Höschen.
Nun begann es, sich zu ziehen. Sie marschierten immer öfter Straßen entlang, die für Autos gedacht waren, nicht für Fußgänger. Vorbeifahrende warfen ihnen verwunderte Blicke zu.Sie passierten einen See, große Gebäudekomplexe, Tankstellen, Reihen schmaler Wohnhäuser und befanden sich immer noch auf der Concorde Avenue.
Es schien sich um eine endlose Straße zu handeln.
Hiroshi hatte Charlotte nach dem Messer gefragt und was sie damals eigentlich genau herausgelesen hatte, aber sie wollte nicht darüber sprechen. Zwei weitere Kilometer nach dem letzten Halt – die Concorde Avenue wurde inzwischen von einem vornehm begrünten Mittelstreifen geteilt, und sie passierten gerade eine eindrucksvolle Synagoge – erklärte Charlotte, dass die ältesten bekannten Funde von Fossilien des modernen Homo sapiens aus dieser Zeit stammten. Man hatte die so datierten Knochen am Omo-River in Südwest-Äthiopien ausgegraben.
»Fossilienfunde«, fuhr sie fort, während sie ihre Wanderung fortsetzten, »sind etwas total Seltenes. Normalerweise vermodern Tote restlos, auch die Skelette. Es braucht sehr spezielle Bedingungen, damit eines erhalten bleibt. Deswegen gibt es aus manchen Gegenden überhaupt keine Funde alter Knochen – das Erdreich ist so beschaffen, dass alles aufgelöst wird. Das ist der Normalfall.«
Darüber hatte Hiroshi noch nie genauer nachgedacht, aber es leuchtete ihm ein. »Wenn es nicht so wäre, würden sich die Knochen toter Lebewesen nach und nach im Boden ansammeln, und das darin gebundene Kalzium wäre dem Stoffkreislauf entzogen.«
Charlotte nickte. »Ganz am Anfang unseres Seminars in Paläoanthropologie hat Doktor Wickersham erzählt, dass sämtliche Funde fossiler Menschenknochen, die je gemacht wurden, bequem auf einem einzigen Lastwagen Platz hätten. Das ist das grundsätzliche Problem aller Aussagen über die menschliche Frühgeschichte: Die Indizienlage ist so dünn, dass kein Geschworenengericht auf dieser Basis ein Urteil fällen würde. Aber die wissenschaftlichen Theorien, die existieren – und irgendwelche Theorien muss es geben, man braucht ja eine Arbeitsgrundlage –, werden von der Allgemeinheit für unumstößlichund feststehend gehalten, oft sogar von Wissenschaftlern, die mit den Details nicht genug vertraut sind.«
Es ging weiter und weiter. Hiroshi hatte nicht gewusst, dass Boston eine so baumreiche Stadt war. Die Sonne stieg höher, es wurde immer heißer, aber oft konnten sie lange Strecken in angenehmem Schatten gehen.
Es war
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