Herr Bofrost, der Apotheker und ich
Klo. »Wenn du Probleme mit deiner Figur hast, dann ändere doch was dran.«
Wusste ich es doch! Eben hat er noch behauptet, ich sei genau richtig. Außerdem beteuert er doch immer, er liebe jedes Gramm an mir.
»Ich bin dir also doch zu dick, du kannst es ruhig zugeben«, schnaube ich empört und werfe Christian einen bösen Blick zu. Aber der scheint bei ihm nicht anzukommen. Er grinst einfach weiter vor sich hin. Dann kontert er: »Das habe ich gar nicht gesagt. Ach komm schon, Muckelchen. Wenn du mit dir selbst nicht klarkommst, dann lass das nicht an mir aus. Geh doch noch mal mit mir laufen. Ich richte mich diesmal auch ganz bestimmt nach deinem Tempo und laufe die ganze Zeit neben dir her. Das tut dir bestimmt gut.«
Ich weiß ganz genau, was mir gut tut. Ausdauersport mit Christian gehört ganz sicher nicht dazu. Bei unserem letzten Versuch ist er die ganze Zeit etwa zwei Meter vor mir hergelaufen. Ab und zu hat er sich umgedreht, um sich zu vergewissern, dass ich noch nicht umgefallen bin. Nach zwanzig Minuten hatte ich genug. Völlig außer Atem habe ich Christian erklärt, ich hätte keine Lust, ihm noch weiter auf den Fersen zu bleiben, und habe mich frustriert wieder auf den Heimweg gemacht. Zuhause hat Christian mir dann erklärt, er sei extra etwas vorangelaufen, weil er mich dadurch motivieren wollte. So etwas Blödes habe ich noch nie gehört – und auch nie wieder versucht. Ausdauersport mit Christian, ganz egal welcher Art, kommt für mich nicht mehr infrage.
Außerdem könnte ich die Zeit für andere Sachen viel besser nutzen.
Auf meinem Nachttisch liegt noch immer ein dickes Buch, das ich unbedingt lesen möchte. Meinen Kleiderschrank müsste ich auch mal wieder ausmisten. Und auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Quittungen für den Steuerberater, die ich längst sortiert haben sollte. Zudem schmerzen meine Knie, wenn ich irgendwo schweißtreibend durch die Gegend galoppiere. Das liegt daran, dass ich mich mit meinen 29 Jahren schon fast im sogenannten orthopädischen Alter befinde. Ab 30 beginnt angeblich die Zeit, in der sich der Knochenverschleiß deutlich bemerkbar macht. Außerdem stellt sich der Stoffwechsel langsam um, die Muskelmasse schwindet, und das Fettgewebe nimmt zu. Das hat mir mein Physiotherapeut erklärt, der mich letzte Woche einrenken musste, weil ich morgens nach dem Aufwachen meinen Kopf nicht mehr nach links drehen konnte. Ab 40 wird die Sache dann noch schlimmer, denn da stellt sich der Körper auf Ruhe ein.
Wenn ich also Pech habe, nehme ich in Zukunft mehr als ein Kilo pro Jahr zu, so dass ich an meinem 50. Geburtstag bestimmt 100 Kilo wiegen werde.
Vorsichtig steige ich von der Waage und setze zu einer Antwort auf Christians Sportangebot an, doch in diesem Moment reißt er genau vier Blätter Toilettenpapier von der Rolle und faltet sie sehr ordentlich übereinander. Das Falten ist für mich das Signal dafür, dass ich das Badezimmer fluchtartig verlassen sollte. Christian hemmt weder meine Anwesenheit bei seinem Toilettengeschäft noch mein mehrfach deklariertes Unwohlsein, das ich empfinde, wenn ich dabei in unmittelbarer Nähe bin. Die sieben Jahre haben auch hier ihre Spuren hinterlassen. Deswegen verkneife ich mir lieber einen Kommentar und sehe zu, dass ich schleunigst Land gewinne.
Beim Rausgehen werfe ich noch einen kurzen Blick von oben auf meinen ach so sportlichen Freund herab. Die glänzende, anfangs noch ganz kleine, kreisrunde Lichtung auf seinem Kopf breitet sich immer weiter aus. Ätsch, geschieht ihm recht, dass er jetzt schon Pläte bekommt! Bestimmt hat er irgendwann eine Glatze, nur der Po bleibt behaart.
Nun, immerhin weiß ich jetzt schon, wie ich ihn trösten kann, sollte er sich mal darüber bei mir beklagen.
»Quatsch, du bist nicht kahl«, werde ich leicht grinsend bemerken. »Du bist ein Mann. In deinem Alter ist das ganz normal.« Und dann werde ich noch »Immerhin gehst du schwer auf die 40 zu«, hinterherschieben.
Christian ist gerade mal 32 und hat jetzt schon gewaltige Probleme mit dem Älterwerden. Er möchte rechtzeitig vorbeugen, so hat er mir erklärt. Deswegen hat er sich die letzten Monate zu einem richtigen Sportfreak entwickelt. Außerdem futtert er nur noch gesundes Zeug und hält mir Vorträge über gesunde Ernährung, versteckte Fette und Kalorien.
Egal, denke ich, denn schließlich lebt man nur einmal – und dieses eine Leben will ich genießen. Dazu gehört auch, manchmal ein kleines bisschen schadenfroh zu
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