Herr Bofrost, der Apotheker und ich
lasse das Kleid einfach an. Es scheint mich zu mögen, denn es will nicht von mir runter. Zweitens, ich trenne mich von dem Kleid. Und zwar schnell und im wahrsten Sinne des Wortes.
»Trennen Sie eine Naht auf!«, bestimme ich im Befehlston, damit die Damen auch wirklich begreifen, dass es mir ernst ist.
»Auftrennen? Das schöne Kleid …«
»Ja, zack, zack! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Und keine Sorge, ich kaufe es, auch aufgetrennt. Und dann schauen wir uns den Reißverschluss noch mal in Ruhe an.«
In dem Moment, in dem die Naht sich löst, merke ich, wie ich mich entspanne, da endlich wieder Luft durch meinen Körper strömt. Luise steht kopfschüttelnd neben ihrer Kollegin. Hoffentlich fängt sie nicht an zu jammern. Sie sieht ganz unglücklich aus.
Schnell verschwinde ich in der Kabine und schlüpfe wieder in meine bequemen Stretchjeans. Ich bezahle die 499 Euro für ein kaputtes, zu kleines, aber wunderschönes Kleid und flüchte aus dem Laden. Erst als ich etwa zehn Meter entfernt bin, ziehe ich das doofe Ding aus der Tüte und gucke es mir noch einmal an. Vorsichtig bewege ich den Reißverschluss. Er schnurrt wie ein Kätzchen, auf und ab.
Mist, ich bin tatsächlich zu fett geworden, auch wenn ich eine Frau bin. Ich sollte schleunigst zusehen, dass ich was dagegen unternehme, sonst durchschlage ich bald noch die 80-Kilo-Grenze.
Ob ich das in nur drei Wochen schaffe bis zur Feier? Ein Kilo pro Woche würde für das Kleid bestimmt reichen. Vielleicht sollte ich mich in einem Fitnessstudio anmelden oder doch mit Christian laufen gehen. Oder auch mal den Eiweißshake testen? Nein, das geht gar nicht, dann würde ich lieber ganz aufs Essen verzichten und hungern. Am besten lasse ich das Kleid von einer guten Schneiderin etwas weiter machen. Ein bisschen Stoff zum Auslassen war schließlich noch in der Innennaht zu sehen. Und überhaupt – es gibt schließlich wichtigere Dinge als ein paar Kilo zu viel!
Vor mich hin summend mache ich mich auf den Weg zum Auto. Gerade als ich den Motor starten will, klingelt mein Handy. Es befindet sich in meiner Tasche, die auf dem Beifahrersitz liegt. Den gespeicherten Klingelton erkenne ich sofort, er gehört zweifelsohne zu meinem Chef. Der braucht bestimmt ganz dringend meine Hilfe, und zwar sofort und auf der Stelle. Ich ringe einen kurzen Augenblick mit mir, denn immerhin habe ich heute Urlaub, aber dann krame ich doch nach dem Telefon. Genau in dem Moment, in dem ich es in der Hand halte, hört das Klingeln auf. Wenn das mal kein Zeichen ist! Ich soll heute also nicht mit meinem Chef sprechen, eindeutig. Vielleicht rufe ich ihn einfach später zurück. Viel später sozusagen, so spät, dass in der Zwischenzeit schon ein anderer Kollege ausgeholfen hat. Ich halte das für eine sehr geschickte Taktik, die ich aber leider nicht durchziehen kann, denn kurz darauf klingelt das Handy wieder. Und da ich letztendlich ein viel zu netter Mensch bin und außerdem weiß, dass auf die anderen Kollegen selten Verlass ist, nehme ich das Gespräch doch an.
»Mona Liebermann.«
»Ach Frau Liebermann, Hartwig hier, gut, dass ich Sie doch noch erreiche. Ich habe schon befürchtet, Sie gehen nicht ran. Wir haben einen absoluten Notfall. Ich weiß ja, dass Sie Urlaub haben, aber Herr Krüger hängt mit einer Autopanne irgendwo in Bayern fest. Und Frau Schmelzer erreiche ich einfach nicht. Können Sie einspringen? Krüger hat das Gerät schon verkauft. Es geht nur um eine kurze Schulung für die neuen Assistenzärzte.«
Als Applikationsspezialistin verkaufe ich anspruchsvolle medizinische Geräte wie Röntgengeräte und Computertomographen an Arztpraxen und Krankenhäuser. Dabei gehört es auch zu meinen Aufgaben, die Maschinen vorzuführen und die Mitarbeiter zu schulen.
»Was ist denn mit Frau Mallowski«, versuche ich mich aus der Verantwortung zu ziehen.
»Die Mallowski? Nee, die ist noch nicht soweit. Sie ist doch erst seit einem halben Jahr dabei und muss noch ein paar Mal hospitieren, bevor ich sie alleine losschicken kann ... Außerdem hat sie nicht Ihre Klasse. Die ist bei Weitem nicht so begabt wie Sie.«
Warum habe ich es nicht genauso gemacht wie die Schmelzer? Die sitzt bestimmt gerade irgendwo gemütlich im Café und schert sich überhaupt nicht darum, dass ihr Chef gerade versucht hat, sie zu erreichen. Sie geht ganz bewusst nicht ans Telefon oder hat es einfach ausgestellt.
Irgendwann bekommt man alles zurück im Leben, heißt es doch so schön. In der
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