Herr Bofrost, der Apotheker und ich
ruf mich an. Egal, wie spät es ist.«
»Och, wenn ich erst eine Flasche Rotwein intus habe, kann ich schon schlafen.« Diese Aussicht schien Laura erheblich zu beleben. Sie klang fast fröhlich.
»Okay, Süße, ich melde mich morgen, ja?«
»Ja ... Danke, Lenchen.«
Ich legte auf Ein gutes Gefühl hatte ich nicht dabei. Zum Schluss hatte Laura zwar ganz gefasst geklungen, aber wie ich sie kannte, dauerte es keine fünf Minuten, bis sie wieder Rotz und Wasser heulte.
Ich stieg die Treppe hinab und fand Holger schimpfend an seinem Computer. Das neue Programm machte ihm Ärger, weil er irgendwelche Schwierigkeiten hatte, seine alten Daten zu übertragen. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen – warum musste es auch immer das Neueste vom Neuen sein?
»Ich muss am Samstag nach Hamburg fahren, Laura braucht mich. Wahrscheinlich bleibe ich ein paar Tage«, verkündete ich.
Holger sah auf. »Am Samstag feiern wir Kerstins Geburtstag, da kannst du unmöglich wegbleiben.«
»Aber, Holger, Laura geht es wirklich dreckig, ich muss dahin!«
»Wieso? Hat sie wieder Probleme mit diesem verheirateten Gott in Weiß?«
»Holger, sie liebt ihn! Außerdem wissen wir doch gar nicht, was für eine Ehe er führt. Wahrscheinlich existiert sie nur noch auf dem Papier, und er kann da aus finanziellen Gründen nicht so schnell raus.« Schön wär's. Das glaubte ich ja selbst nicht. Aber Holger sollte sich bloß nicht so anstellen, schließlich ging es hier um Laura !
»Lena, das glaubst du doch selbst nicht«, sagte er nachsichtig. »Laura ist mit diesem ... diesem ...«
»Lukas«, half ich.
»Lukas nun schon seit zwei Jahren zusammen, und sie hat regelmäßig ihre Zusammenbrüche. Das ist doch nichts Neues. Du kannst doch nicht jedes Mal alles stehen und liegen lassen und zu ihr fahren!«
»Aber wenn sie doch so down ist ...«
»Auch dann nicht. Lena, du hast hier Verpflichtungen! Du kannst doch nicht die Familie im Stich lassen, nur weil Laura sich gerade wieder einmal schlecht fühlt.«
»Ja, aber ...«
»Lena.« Es kostete ihn offensichtlich große Anstrengung, geduldig zu bleiben. »Du scheinst gar nicht zu begreifen, wie wichtig du für die Familie bist. Wenn du schon nicht um Kerstins willen hier bleiben willst, dann tu es wenigstens für meine Eltern.«
»Für deine Eltern?« Das überraschte mich nun wirklich.
»Lena«, Holger klang nun, als spräche er mit einer Sonderschülerin, »dir muss doch klar sein, was für eine Stütze du für meine Eltern bist. Von Kerstin sind sie furchtbar enttäuscht ... ihre Scheidung, dieser ganze Esoterik-Kram ... sie ist wirklich ein bisschen aus der Art geschlagen. Gerade neulich hat mir Papa noch gesagt, wie froh sie beide sind, in dir eine Tochter zu haben, auf die sie sich immer verlassen können. Ich bin sicher, du würdest ihnen beiden sehr wehtun, wenn du am Samstag nicht kämest. Sie hätten das Gefühl, du begingest Fahnenflucht.«
Würden sie mich an die Wand stellen wie einen Deserteur?
»Aber, Holger, es ist doch nur eine Geburtstagsfeier, keine Familienkrise.«
»Lena, begreifst du nicht? Es ist eine Frage der Loyalität. Wenn man eine Familie hat, kommt sie immer an erster Stelle. Glaubst du, meine Eltern würden ausgerechnet an deinem Geburtstag zu irgendwelchen Freunden fahren, wenn sich das auch um einen Tag verschieben ließe?«
Nein, das glaubte ich nicht. Holgers Eltern standen immer auf der Matte, wenn man sie brauchte. (Oft genug auch, wenn man sie nicht brauchte, aber darum ging es jetzt ja wohl nicht.) Außerdem – mit Familie kannte ich mich nicht so aus. Meine Eltern hatten mich zwar in die Welt gesetzt, aber mit Familienleben hatten sie nichts am Hut. Ihr wahres Kind war ihre wissenschaftliche Arbeit, ihre Familie die jeweilige Crew, mit der sie an ihren Ausgrabungsorten lebten. Für mich hatte es ein griechisches Kindermädchen gegeben, später wechselnde Au-pairs, und wenn Katharina nicht eingeschritten wäre und mich zu sich geholt hätte, wäre ich schon mit sechs im Internat gelandet. – Wahrscheinlich hatte Holger Recht. Ich konnte mich nicht einfach verpieseln, wenn mir etwas anderes gerade besser in den Kram passte.
»Na gut, dann fahre ich am Sonntag zu Laura. Ist das okay?«
»Natürlich! Wir müssen am Samstagabend ja auch nicht lange bleiben, dann kannst du früh aufbrechen. Das passt sogar ganz gut, denn ich wollte dann sowieso in die Apotheke und die neue Software installieren.«
Ich nickte. Und weil ich feige war, rief ich Laura
Weitere Kostenlose Bücher