Herr Bofrost, der Apotheker und ich
– Schließlich hatte ich im Dritte-Welt-Laden einen Korb gekauft und im Reformhaus wahllos nach allem gegriffen, was kernig, gesund und alternativ aussah. Je weniger ich ahnte, worum es sich handeln mochte, desto richtiger war es wahrscheinlich. An der Kasse hatte ich einen mittleren Schock erlitten – jetzt verstand ich, warum Kerstin so sauer war, dass der arme Arsch keinen Cent Unterhalt abdrücken musste, und warum sie ständig versuchte, Verbindung zu übersinnlichen Mächten herzustellen. Sich von einem Kindergärtnerinnen-Gehalt ökologisch ernähren zu wollen erforderte wohl in der Tat die Unterstützung durch Kräfte, die außerhalb unserer Vorstellungskraft operierten.
Holger hatte ziemlich entgeistert geguckt, als ich mit dem Schlemmerkorb nach Hause gekommen war. »Was soll das denn?«
»Unser Geschenk! Die Gourmet-Variante für kulinarische Querdenker! Von A wie Anistee bis Z wie Zichorie komplett!«
Nun ließ ich mich ins Sofa fallen und erwartete voller Spannung Kerstins Ankunft. Würde das junge Paar erstarren, blitzartig getroffen von Amors Pfeil? – Wohl kaum. Der Pfeil, der Kerstins mehrlagige, dicke Wollgewänder durchbohren konnte, musste erst noch geschnitzt werden, und dass Professor Sassnitz ein so profanes Ereignis wie Liebe auf den ersten Blick überhaupt zur Kenntnis nähme, bezweifelte ich. Er machte den Eindruck, als schwebte er in höheren wissenschaftlichen Regionen – irgendwie einschüchternd. Dabei war er nett, keine Frage. Freundlich, gefällig und höflich, also – zumindest was die inneren Werte betraf- der Traumschwiegersohn.
Endlich kam Kerstin. Schon ihr Klingeln klang abgehetzt, und sie wehte atemlos mit flatternden Haaren und Gewändern in den Raum, die Wangen von der Kälte gerötet. Sie sah fast schön aus. »Entschuldigt, ich hatte einen Platten und musste das letzte Stück schieben«, sagte sie und umarmte ihren Vater, ihren Bruder und mich – Mama Spenger hatte sie bereits im Flur absolviert. Unsere Glückwünsche nahm sie eher beiläufig entgegen. Gerade wollte sie ihren Poncho über den Kopf streifen, als sie erstarrte. Sie hatte den Professor entdeckt, der sich bescheiden im Hintergrund gehalten hatte.
Mein Herz frohlockte. Amors Pfeil! – Aber nein, das war nicht das Erkennen des einzigen und wahren Gefährten, das da in Kerstins Augen aufblitzte, sondern vielmehr die jähe Erkenntnis, dass ihre Mama Schicksal spielen wollte.
»Wer sind Sie denn?«, fragte sie brüsk.
»Sassnitz. Mein Name ist Gerd Sassnitz. Darf ich Ihnen auch ganz herzlich gratulieren?« Er verbeugte sich lächelnd, und Kerstin kam nicht umhin, ihm die Hand zu schütteln. Gute Manieren hatte Papa Spenger ihr eingetrichtert, die saßen. Besonders wenn er daneben stand. »Ihre Mutter war so freundlich ...«
»Herr Professor Sassnitz«, fiel Mama Spenger ihm ins Wort, wobei sie den Professor viel sagend betonte, »ist unser neuer Nachbar. Da er noch niemanden in Hameln kennt, wollte ich ihm die Gelegenheit geben, ein paar Bekanntschaften zu machen, die in seinem Alter sind.«
»Komm, lass dir deinen Umhang abnehmen, und dann trinkst du erst einmal einen Aperitif.« Papa Spenger wandte sich fürsorglich seiner Tochter zu. »Was ist denn mit deinem Rad? Ist es der Vorder- oder der Hinterreifen?«
Kerstin pellte sich aus ihrem grünbraunen Poncho. Darunter kam ein weiter, rotgrau gemusterter, asymmetrisch geschnittener Pullover zum Vorschein, der über einen wadenlangen, grauen Rock wallte. Dazu trug sie schwarze Wollstrümpfe und solide, schwarze Schnürschuhe. Mich juckte es bei dem Anblick am ganzen Körper. Wollstrümpfe – bääh! »Der hintere, das ist ja das Blöde. Den kann ich nicht selbst reparieren, damit muss ich in die Werkstatt«, seufzte sie und ließ sich ins Sofa fallen.
Papa Spenger trug Kerstins Outdoor-Gewand in die Garderobe, Holger schenkte Sherry nach, und Mama Spenger verkündete, dass sie trotz des hohen Festtages etwas ganz Einfaches bereitet habe – nur ein leichtes Käsesoufflé und hinterher Ente mit weißen Rübchen und Dauphinkartoffeln. Wenn das einfach war, war ich Diplomchemikerin!
Der Professor sah interessiert auf. »Hm, das klingt ja gut«, sagte er, und man sah förmlich, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief Wahrscheinlich ernährte er sich normalerweise von Tiefkühlpizza und Doseneintopf Oder brodelte sich Tütensuppen in Reagenzgläsern zusammen.
»Nun, ich koche gern«, erwiderte Mama Spenger bescheiden. »Meine Tochter übrigens auch.
Weitere Kostenlose Bücher