Herr Bofrost, der Apotheker und ich
erst am nächsten Abend an.
Sie meldete sich nach dem ersten Klingeln.
»Laura, meine Süße, wie geht's dir?«
Sie kicherte albern. »Super! Du brauchst nicht zu kommen, Lenchen, es ist alles gut!«
Bitte?! Diese Achterbahn konnte es offensichtlich mit jeder Weltraumrakete aufnehmen.
»Lukas ist gestern Abend noch gekommen, nachdem er genug Händchen am Krankenbett gehalten hatte. Und er ist die ganze Nacht geblieben! Inzwischen hätte ich gar nichts mehr dagegen, wenn seine Frau noch ein paar Wochen im Krankenhaus bliebe. Das eröffnet uns ganz neue Freiräume.«
»Und wenn sie spätabends mal zu Hause anruft?«, fragte ich. »Rufumleitung«, erklärte Laura triumphierend. »Das merkt sie gar nicht.«
So funktionierte das heutzutage. Was die Ehebrecherszene anging, war ich wohl wirklich ziemlich blauäugig. Während die Erfinder moderner Kommunikationstechniken vermutlich alle notorische Fremdgänger waren. Was sonst sollte jemanden motivieren, sich solche technischen Arabesken auszudenken?
»Na, dann ist ja alles gut«, stellte ich beleidigt fest.
»Wunderbar!« Laura klang wie eine glückliche Braut. Ihre Welt endete an den Grenzen ihrer eigenen Glückseligkeit.
Wie schön für sie!
Und wie schön für mich, dass ich nun völlig unbeschwert zu Kerstins Geburtstagsfeier antreten konnte.
* * *
Natürlich wurde die nicht in Kerstins popeliger Wohnung begangen. Die betraten wir alle nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, denn sie lag im dritten Stock eines alten Fachwerkhauses mitten in der Fußgängerzone. Ohne Fahrstuhl. Kerstin wurde nicht müde, den herrlichen Blick über die Dächer der Altstadt zu preisen, doch wir anderen wurden schon müde, wenn wir nur an ihr steiles, marodes Treppenhaus dachten. Wie man sich sein Leben so unpraktisch einrichten konnte, war mir ein Rätsel. Aber das war wohl das alternative Leben – man fuhr seine Einkäufe nicht etwa mit dem Auto bis vor die Tür, sondern karrte sie mühselig auf dem Fahrrad heran und schleppte sie drei Treppen hoch, um sich bewusst zu machen, dass Nahrung etwas war, um das man kämpfen musste. Täglich. Wie unsere Urmütter.
Also hatte Mama Spenger beschlossen, dass es praktischer sei, Kerstins Geburtstag bei ihnen zu feiern. Und zu meiner großen Freude hatte sie sich eine weitere Überraschung ausgedacht: Sie hatte einen Tischherrn für Kerstin eingeladen!
Holger und ich waren natürlich vor Kerstin da, und Mama Spenger strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihn uns vorstellte: »Herr Professor Sassnitz, unser neuer Nachbar!« Wie sich herausstellte, war er der Neffe und Erbe der verstorbenen Nachbarin und gerade dabei, sich in ihrem Haus einzurichten.
Der Professor lächelte etwas verlegen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie er in Mama Spengers Fänge geraten war. Wahrscheinlich hatte sie nach seinem Einzug mit frischem Brot aus ihrem Backapparat und einem handgenähten Baumwollsäckchen voller Salz vor seiner Tür gestanden, um ihn mit der ihr eigenen Herzlichkeit willkommen zu heißen und der ihr eigenen Diskretion auszuhorchen. Und sie musste schnell erkannt haben, welch außerordentlicher Glückstreffer da jenseits ihres Gartenzauns niedergegangen war: Professor Sassnitz war ganz offensichtlich ohne weiblichen Anhang (was mich keineswegs überraschte), genau im richtigen Alter (irgendwo in den Vierzigern, schwer zu schätzen), finanziell bestens abgesichert (Chemieprofessor in Hannover), und – das sah man schon von weitem – er brauchte dringend eine Frau, die ihm die Hemden bügelte, ihn regelmäßig zum Friseur schickte und ihm diskret Nasenhaarschneider und Nagelreiniger zurechtlegte (ob Kerstin da die Richtige war?). Er sah ein wenig verkommen aus, aber wahnsinnig klug und gebildet. Hinter der randlosen, kleinen Brille leuchteten wache, graue Augen, die beginnende Glatze am Hinterkopf und der graublonde, zerfaserte Bart deuteten auf äußerste Gelehrsamkeit. Ein Bilderbuchprofessor, ich hätte keinen schöneren malen können. Außerdem war er sehr groß und schlank – für Kerstin geradezu ein Alpha-Männchen.
Das würde ja richtig interessant werden heute Abend. Ich stellte mein Geschenk für Kerstin achtlos beiseite. Dabei hatte es mich so viel Mühe gekostet, denn was konnte man Kerstin schon schenken? Jute-Unterwäsche? Ein Buch, »Pendeln für Fortgeschrittene«? Designer-Tarot-Karten? Biodynamische Enthaarungscreme? Eine Ken-Puppe und Stecknadeln, damit sie den armen Arsch voodoomäßig abstrafen konnte?
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