Herr Bofrost, der Apotheker und ich
Alles schon gehabt, fuhr es mir durch den Kopf Wenigstens duftete der Tee nicht nach Orangen und Zimt. Es war ein ganz gewöhnlicher Darjeeling.
»Lena, das ...«
»Gerd, das ...«
Wir brachen ab, sahen uns an und lachten vorsichtig.
»Du zuerst«, sagte er.
»Das ist alles nicht passiert«, sagte ich fest.
»Nein?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Und wie!«
»Schade.«
»Ja.« Und um ganz klar zu machen, dass das alles tatsächlich nicht passiert war, übte ich mich in lässiger, munterer Konversation: »Und – wie geht's dir hier so? Hast du dich schon eingelebt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Nicht so richtig. Es ist schwierig. An vier Tagen in der Woche übernachte ich noch in Hannover, und wenn ich hier bin, krame ich nur herum. Der Abend bei deinen Schwiegereltern war bisher das einzige gesellschaftliche Ereignis, das ich hier erlebt habe.«
Mich ritt der Teufel. »Und? Wie fandst du es?«
»Etwas bizarr, um ehrlich zu sein. Ich habe so meine Probleme mit diesen furztrockenen Kaufleuten wie ...« Er unterbrach sich abrupt und schaute mich entsetzt an. »Entschuldige, ich wollte nicht ...« Er verstummte ratlos.
Ich nippte an meinem Tee und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Ich verstand, was er meinte, aber ...
»Verzeih, Lena. Ich hätte das nicht sagen sollen. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Bei dir habe ich das Gefühl, dass wir eine Sprache sprechen, darum ... Darum habe ich mich ja auch so gewundert, jemanden wie dich in dieser Familie anzutreffen.«
Dieser Familie! Das klang ja, als hätte er den Abend bei den Flodders verbracht. » Diese Familie ist sehr nett«, sagte ich. »Und herzensgut. Sie mögen alle keine intellektuellen Koryphäen sein, aber sie sind integer und loyal. Weißt du, der Nobelpreis ist auch nicht alles!«
»Nein, natürlich.« Der Professor klang recht kleinlaut. Griff nach seinen Zigaretten. »Du redest genau wie meine Frau. Meine Ex-Frau. Du erinnerst mich überhaupt an sie. Sie hat mir immer intellektuelle Arroganz vorgeworfen. Wahrscheinlich hatte sie Recht.« Er sah mich unsicher an. »Können wir trotzdem Freunde bleiben?«
Ich zeigte mich großmütig. »Was meinst du, soll ich diesen Auktionator gleich mal anrufen?«
»Das wäre toll, ja! Wieso kennst du ihn überhaupt?«, fragte er und bot mir eine Zigarette an. »Gehst du zu Auktionen?«
»Nein. Nie. Ich halte lieber Ausschau nach Idioten mit Garagenflohmärkten.« Ich grinste ihn an. »Da kann man echte Schnäppchen machen.«
»Scheint so, ja. Also, woher kennst du den Typ dann? Ist er seriös?«
»Aber hallo! Hoch in den Sechzigern und immer im Nadelstreifen. Johnson heißt er. Er ist ein Freund meiner Tante, ein richtig gediegener hanseatischer Kaufmann. Aber total nett.«
»Und der haut mich nicht übers Ohr, wenn er merkt, wie blöd ich bin?«
»Nein, bestimmt nicht. Außerdem musst du ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, wie blöd du bist. Wenn du ihm natürlich die Sammlungen präsentierst, indem du mit verächtlicher Geste um dich deutest und sagst, ›hier liegt der ganze Scheiß‹, dann könnte er womöglich doch in Versuchung kommen. Also, sei ein bisschen seriös, ja?«
»Muss ich etwa einen Anzug anziehen?«
»Quatsch, du sollst seriös gucken, das reicht.«
»Na gut, das kann ich. Ich stelle mir vor, ich sei bei einer Doktorandenprüfung, da wird das auch erwartet.«
»Na also. Und sag einfach gar nichts. Das ist bestimmt am besten.«
»Du meinst, ich gebe solchen Stuss von mir, dass ich das Geschäft nur versauen könnte?«
»Das hast du jetzt gesagt.«
»Und du hast es gedacht.«
»Ja.«
Als ich Herrn Johnson erzählte, worum es sich handelte, schien er mir einen Moment lang keineswegs mehr so distinguiert, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Aber er fand schnell zu kühler Sachlichkeit zurück und schlug einen Termin vor.
»Freitag um zwölft, wiederholte ich und sah den Professor fragend an. Der nickte.
Ich gab Herrn Johnson die Adresse und versprach, Nina von ihm zu grüßen.
»Meinst du, der kommt gleich mit einem Lieferwagen und schleppt den ganzen Krempel ab?«, fragte der Professor hoffnungsvoll.
»Gerd!« Ich sah ihn mitleidig an. »Der kommt im Porsche. Und dann schickt er seine Spediteure, die ›den ganzen Krempel‹ kunstgerecht verpacken. Denkst du, die knallen Tante Ottis Suppenterrinen auf die Ladefläche eines Sprinters?«
»Wie? Glaubst du, das blöde Porzellan nehmen die auch mit?«
Wo war dieser Mensch eigentlich groß
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