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Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
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würde mich an der nächsten Ecke einholen, spätestens an der übernächsten. Wahrscheinlich lauschte er auf jede meiner Bewegungen, sprungbereit. Und auf den Sprung war ich echt nicht scharf Jetzt reichte es wirklich. Er hatte mich in Grund und Boden gefickt, er war wie ein Berserker über meine Sachen hergefallen – was würde er als Nächstes tun? Sich an Mama Spengers Messerblock erinnern? Ich hatte nur daran gedacht, er würde sich möglicherweise bedienen!
    Ich kehrte in mein Zimmer zurück und sank auf den Teppich, inmitten der Unordnung. Geschlagen. Ohne Verbindung zur Außenwelt. Das Telefonkabel mit den ausgefaserten Kupferstrippen lag zwischen meinen Malstiften auf dem Boden.
    Au Mann, ich hatte hier ja gar nichts mehr im Griff! Wie gern hätte ich mich einfach ausgestreckt und geheult. So richtig. Aber den Gefallen würde ich Holger nicht tun. So klein kriegte er mich nicht! Der nicht! Mutlos stakste ich über das Chaos auf dem Teppich. Meine Stifte waren ruiniert, das war klar. Die Minen waren sicher zigmal gebrochen, auch wenn man es nicht sah. Wie mein Herz.
    Lenchen, reiß dich zusammen! Lass den Kitsch! Denk lieber nach!
    Also gut. Ich zündete mir eine Zigarette an, sank in die Sofaecke und dachte nach. Sortierte die Fakten:
    Fakt 1: Ich hasste Holger. Jetzt wirklich. Unwiderruflich.
Fakt z: Ich hatte Schiss. Jetzt aber wirklich. Unheimlich.
Fakt 3: Ich musste hier raus. Sofort.
Fakt 4: Ich hatte keine Fluchtmöglichkeit.
    Ich war besiegt.
    Nein! Das konnte nicht sein. Es musste noch eine Möglichkeit geben. Eine, bei der ich die Dinge in die Hand nahm. Meine Güte, bislang war ich noch immer mit Holger fertig geworden, das musste doch auch diesmal klappen! Was war er denn? Ein faschistoider, kleiner Scheißer, der seine physische Überlegenheit ausspielte und dabei so viel Grips bewies wie ein minderbemittelter Orang-Utan.
    Dem war ich doch wohl gewachsen, oder nicht? Ich musste nur ein bisschen klug sein wie ... wie ... Ja! Wie die klugen, mutigen Frauen der Résistance in Frankreich, die die tumben Nazis ausgetrickst hatten. Ich musste vorgehen wie sie – bei Tageslicht Hélène, sanft und angepasst, eine gute Untertanin. Und dann – bei Nacht Claudine, die unvermutet zuschlug! Und, fiel mir ein, bedienten sie sich nicht eines Codes? »Jeannette bringt morgen um vier eine Nusstorte zum Kaffee mit.« Was hieß, dass im Morgengrauen ein Flieger landen würde, der jede Menge Handgranaten an Bord hatte. Nur – das würde bei mir nicht funktionieren. Wenn ich Laura anrufen und sie bitten würde, mit einer Nusstorte vorbeizukommen, würde sie mich wohl für leicht meschugge halten, doch mit Sicherheit nicht mitten in der Nacht eine Tellermine in Holgers Schlafzimmerfenster werfen. Schade!
    Doch, Moment mal ...
    Ich drückte meine Zigarette aus und stand auf. Ich drückte meine Schultern durch und setzte mein harmlosestes Untertanengesicht auf. Polternd ging ich die Treppe hinunter. Ich hatte nichts zu verbergen, nichts. Heimlichkeiten? – Ich doch nicht!
    Ich kochte einen Becher Kaffee und nahm ihn mit nach oben. Ich machte mich ans Aufräumen. Ganz das gute Kind. Ich sortierte die Stifte, legte sie zurück in Schachteln, Kästen, Dosen. Dass ich dabei doch heulte, hatte nichts mit Holger zu tun. Nur mit Seelenhygiene. Als ich schließlich den Teppich saugte, schniefelte ich nur noch ein bisschen. Und den Blutfleck verrieb ich mit einem feuchten Lappen zu einem anklagenden Mal, irreparabel. Er sollte bleiben, für immer. Mich würde er nicht stören.
    Ich sah auf die Uhr. Erst halb fünf. Wie lang konnte ein Tag eigentlich sein?
    Holger saß im Wohnzimmer und las. Oder tat wenigstens so. Die Tür hatte er angelehnt, hockte im Sofa wie ein Sprinter im Startblock.
    »Magst du einen Tee?«, fragte ich devot.
    Überrascht sah er auf. Er lächelte gütig.
    »Du scheinst ja Vernunft angenommen zu haben«, sagte er, als wir auf der Terrasse saßen, Tee tranken und Herrn Bofrosts Mini-Eclairs verdrückten. »Gut so.«
    Ich schenkte ihm meinen unterwürfigsten Hélène-Blick. »Es tut mir Leid, Holger. Ich habe heute viel gelernt, ehrlich. Und ich will mich nicht mit dir streiten.« – Stimmte. Nichts wäre fataler als noch ein Streit, der ihn wieder aus seinem satten Behagen aufschrecken würde. »Ich will nur Frieden.« – Stimmte nicht!
    Holger grunzte. »Sehr vernünftig, Kleines. Lass uns Frieden schließen.« Er langte über den Tisch nach meiner Hand.
    Es kostete mich große Anstrengung, sie

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