Herr Bofrost, der Apotheker und ich
sein musste, auch meine Klamotten.
Holger bückte sich nach einer der Reisetaschen, wühlte darin herum, griff den Holzkasten mit meinen Aquarellmalstiften und schleuderte ihn auf den Boden. Der Deckel sprang auf, die Stifte stoben in alle Richtungen.
»Spinnst du?!« Ich stürzte mich auf die Tasche und zog sie weg. Holger entriss sie mir. Er pflückte Kästen und Dosen aus der Tasche und knallte sie auf den Teppich. Er richtete ein unglaubliches, farbiges Chaos an, trat in einen Block brauner Farbe, der aus seiner Plastikhalterung gerollt war. Auf dem rosa Teppich entstand ein gemeiner Fleck, der wie geronnenes Blut aussah.
Ich warf mich auf die Tasche, bevor Holger bis zum Grund vorstieß, bereit, den »Mephisto« mit Leib und Leben zu schützen. »Hör auf!«, brüllte ich. »Hör endlich auf!«
Holger stieß mich zur Seite. Wieder ein blauer Fleck mehr, diesmal am Oberarm. Im Fallen trat ich blind um mich, ich traf mitten in Holgers Magen. Immerhin. Holger sackte keuchend zusammen. Allerdings rappelte er sich verdammt schnell wieder auf und kniete in Bruchteilen von Sekunden über mir. Er presste meine Arme an den Boden. Ich strampelte. Er drückte seine Knie auf meine Oberschenkel. Ich schrie. Aus Leibeskräften. Aber wer sollte mich hören? Die Nachbarinnen? Sie würden denken, hier habe jemand den Fernseher zu laut gestellt, und in aller Seelenruhe weiter ihren Kaffeetisch decken. Oder ihre Fingernägel feilen. Irgendetwas ganz Normales tun, während nebenan der Rosenkrieg tobte, mitten im Vorstadtidyll.
»Jetzt hör mir mal zu, Helena Spenger!« Bei dem »sp« von Spenger sprühten Speicheltröpfchen auf mich herab wie giftiger Regen. »Ich habe langsam genug von deinen Sperenzien!« Ein weiterer verseuchter Schauer. »Was du dir da an der Raststätte geleistet hast, war eine bodenlose Unverschämtheit, und du kannst von Glück sagen, dass ich bereit bin, dir das zu verzeihen! Aber nun reicht es! Übermorgen fahren wir in den Schwarzwald! Ich habe da unten alles organisiert, und ich denke nicht daran, meine Pläne zu ändern, weil du dich aufführst wie ein verwöhntes Gör! Und bis dahin, meine Liebe, werde ich dich nicht mehr aus den Augen lassen!« Er ließ von mir ab und stand auf. Verächtlich blickte er auf mich herab und sah mitleidlos zu, wie ich mich mühsam aufrappelte. »Und damit du gar nicht erst auf dumme Gedanken kommst«, sagte er hämisch, »treffen wir hier mal ein paar vorbeugende Maßnahmen!« Und ehe ich begriff, was geschah, riss er mein Telefonkabel aus der Wand. »So!« Er blitzte mich zornig an, das ausgefranste Kabelende in der Hand.
»Damit kommst du nicht durch! Willst du mich hier einsperren, oder was? Glaubst du, Laura und Katharina und Nina merken nicht, dass etwas nicht stimmt, wenn ich mich nicht mehr melde? Die stehen hier doch sofort auf der Matte!« Hoffte ich!
»Du wirst ihnen erklären, dass wir hier vorübergehend technische Probleme haben. Außerdem können sie jederzeit auf meinem Apparat anrufen. So, und jetzt gib mir dein Handy«, sagte Holger und streckte mir fordernd die geöffnete Hand entgegen.
»Du bist echt voll abgedreht, was?« Ich versuchte es auf die flapsige Art. Deeskalation nannte man so was. Aber ich hatte das Prinzip anscheinend nicht ganz begriffen. Oder Holger ließ sich nicht deeskalieren, so was gab es wohl auch. Er polterte die Treppe hinab, durchwühlte meine Handtasche, die noch im Flur lag, und fischte das Handy heraus. Ich stand auf der Treppe und sah ihm zu.
»Glaubst du, so kriegst du mich?«, zeterte ich hilflos. »Was willst du eigentlich? Du liebst mich doch gar nicht!«
»Helena«, sagte Holger müde und äußerst herablassend von da unten, »natürlich liebe ich dich. Nur scheinst du einfach nicht zu begreifen, was gut für dich ist.«
»Scheiße was! Ich weiß verdammt genau, was gut für mich ist! Du bestimmt nicht! Du bist ein brutales Arschloch! Und was du mir heute angetan hast, verzeihe ich dir nie! Du ... du Schwein!«
»Helena! Das reicht! Geh in dein Zimmer und räum auf! Und komm mal zur Besinnung!« Damit stapfte er ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Ja, schloss sie. Ich hätte sie geknallt!
Scheiße, ich musste hier raus. Meine Handtasche schnappen, ins Auto springen und durchstarten. Doch da fiel mir ein, dass mein Wagen in der Garage stand – und Holgers davor. Und wenn ich einfach losrannte? Bis ich einen netten Brummifahrer fand, der sich meiner erbarmte?
Nein, das war alles Mist. Holger
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