Herr der Daemmerung
doppelter Hinsicht deplaziert wirkten. Keiner der Bäume hatte besonders viel Laub, selbst jetzt im Spätsommer, aber sie hatten eine Menge kleiner Äste.
Jez und das Kind krachten direkt in einen der Bäume hinein.
Jez nahm den Schmerz wahr, doch es war ein kratzender, stechender Schmerz und nicht die brutale Qual des Aufschlags auf Asphalt. Ihre Beine krachten durch etwas, das barst und knackte und in ihr Fleisch stach. Äste und Zweige. Sie wurde herumgewirbelt, während einige der Zweige sich in ihrer Jeans verfingen und andere in ihrer Lederjacke. Jeder Ast, den sie traf, verringerte ihre Geschwindigkeit.
Als sie schließlich aus dem Baum krachte und auf den Boden schlug, raubte es ihr lediglich den Atem.
Schwarze Punkte tanzten ihr vor Augen. Dann klärte sich ihre Sicht auf, und sie begriff, dass sie auf dem Rücken lag und sich Iona auf den Bauch drückte. Glänzende Judasbaumblätter schwebten überall um sie herum.
Göttin, dachte sie. Wir haben es geschafft. Ich fasse es nicht.
Sie nahm einen dunklen Nebel wahr, und etwas krachte neben ihr auf den Gehsteig.
Morgead. Er landete mit gebeugten Knien wie eine Katze, aber wie eine große Katze. Ein Sprung von einem hohen Gebäude war selbst für einen Vampir ziemlich weit. Jez konnte sehen, wie ihn die Stoßwelle erschütterte, als er mit den Füßen auf den Asphalt traf, bevor er vornüber kippte.
Das muss wehtun, dachte sie mit vagem Mitgefühl. Aber in der nächsten Sekunde stand er schon wieder, kam zu ihr und beugte sich über sie.
»Geht es dir gut?« Er brüllte sowohl laut als auch telepathisch. Sein dunkles Haar war durcheinander und stand ihm vom Kopf ab; seine grünen Augen funkelten wild. »Jez!«
Oh. Du warst es, der gebrüllt hat, als ich gesprungen bin, dachte Jez. Ich hätte es wissen müssen.
Blinzelnd schaute sie zu ihm auf. »Natürlich geht es mir gut«, sagte sie hochmütig. Dann zog sie an dem Kind, das mittlerweile neben ihr lag. »Iona! Geht es dir gut?«
Iona regte sich. Sie hielt mit beiden Händen die vordere Seite von Jez’ Jacke umklammert, und sie richtete sich ein wenig auf, ohne Jez loszulassen. Sie hatte einen Brandfleck am Ärmel, war sonst aber unversehrt.
Ihre samtig braunen Augen waren riesig - und trüb. Sie wirkte traurig und verwirrt.
»Das war wirklich erschreckend«, sagte sie.
»Ich weiß.« Jez schluckte. Sie war nicht gut darin, über emotionale Dinge zu sprechen, aber jetzt sprudelten die Worte einfach so aus ihr heraus. »Es tut mir leid, Iona; es tut mir so leid, es tut mir so leid. Wir hätten das nicht tun dürfen. Es war gemein, und es tut mir furchtbar leid, und wir werden dich jetzt nach Hause bringen. Niemand wird dir etwas tun. Wir werden dich zu deiner Mom zurückbringen.«
Die samtigen Augen blickten immer noch unglücklich. Müde und unglücklich und tadelnd. Jez hatte sich noch nie so sehr wie ein Monster gefühlt; nicht einmal in jener Nacht in Muir Woods, als sie begriffen hatte, dass sie Jagd auf ihre eigene Rasse machte.
Ionas Blick blieb fest, aber ihr Kinn zitterte.
Jez sah Morgead an. »Kannst du ihr Gedächtnis löschen? Ich sehe keinen Grund, warum sie sich an all das erinnern müsste.«
Sein Atem ging immer noch schnell, sein Gesicht war bleich, und seine Pupillen waren geweitet. Aber er sah Iona an und nickte. »Ja, ich kann es löschen.«
»Denn sie ist nicht die Wilde Macht«, sagte Jez ruhig, als mache sie eine Bemerkung über das Wetter.
Morgead zuckte die Achseln. Dann strich er sich mit dem Handgelenk das Haar aus dem Gesicht und schloss kurz die Augen.
»Sie ist ein ungewöhnliches Kind, und ich weiß nicht genau, was sie einmal werden wird - eine großartige Ärztin oder Botanikerin oder vielleicht sogar Präsidentin oder so. Etwas Besonderes, denn sie hat dieses innere Leuchten - etwas, das sie davon abhält, wütend oder gemein oder hysterisch zu werden. Aber das hat nichts damit zu tun, dass sie eine Wilde Macht ist.«
»Okay! Ich hab’s kapiert!«, brüllte Morgead, und Jez wurde bewusst, dass sie aufgeregt drauflosgefaselt hatte. Sie klappte den Mund zu.
Morgead holte tief Luft und ließ die Hand sinken. »Sie ist es nicht. Ich habe mich geirrt. Ich habe einen krassen Fehler gemacht. Okay?«
»Okay.« Jez war jetzt ruhiger. »Also könntest du ihre Erinnerungen bitte löschen?«
»Ja! Ich bin ja schon dabei!« Morgead legte die Hände auf Ionas kleine Schultern. »Hör mal, Kleine, es tut … mir leid. Ich hätte nie gedacht, dass du ... du weißt
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