Herr der Daemmerung
die friedliche Miene.
»Ihr geht es auch gut«, sagte sie und richtete sich auf. Sie hielt Thistles Blick fest. »Was sie nicht dir zu verdanken hat.«
Thistles Wangen waren gerötet. Sie wirkte wütend, verlegen und in die Enge getrieben. »Sie ist bloß ein Mensch.«
»Sie ist ein Kind!«, brüllte Morgead und schoss hoch. Er ragte über Thistle auf, die plötzlich sehr klein aussah. »Was du nicht bist«, fuhr er mitleidlos fort. »Du bist lediglich ein - ein sechzehn Jahre altes Möchtegern-Kind.«
»Also schön, ihr zwei!«, fuhr Jez scharf dazwischen. Sie wartete, bis die beiden den Mund hielten und sie ansahen, bevor sie weitersprach. »Du - sei still und lass mich das regeln«, sagte sie zu Morgead. »Und du«, wandte sie sich an Thistle, »wenn du jemals wieder versuchst, einem Kind wehzutun, werde ich dir den Kopf abreißen.« Thistle öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, ohne zu sprechen.
Jez nickte. »Okay, das wäre geklärt. Jetzt müssen wir dieses Mädchen nach Hause bringen.«
Val starrte sie an. »Nach Hause?«
»Ja Val.« Jez hob das Kind hoch. »Falls dir etwas entgangen sein sollte - sie ist nicht die Wilde Macht.«
»Aber ...«Val zuckte unbehaglich mit seinen breiten Schultern und sah Morgead an. »Du meinst, du hast dich geirrt?«
»Es gibt für alles ein erstes Mal, richtig?« Morgead funkelte ihn an.
»Aber - wer ist dann die Wilde Macht?«, warf Raven leise ein.
»Wer weiß?« Es war das erste Mal, dass Pierce das Wort ergriffen hatte, und seine Stimme war leise und leicht amüsiert.
Jez sah ihn an. Sein blondes Haar leuchtete im roten Licht des Sonnenuntergangs, und in seinen dunklen Augen stand ein spöttischer Ausdruck.
Ich glaube wirklich nicht, dass ich dich besonders mag, dachte sie.
Aber natürlich hatte er recht. »Wenn es nicht dieses Kind ist - nun, ich schätze, es könnte jeder an dem Schauplatz gewesen sein«, sagte sie langsam. »Jeder, dem etwas an ihrer Rettung lag. Einer der Feuerwehrleute, ein Nachbar - jeder.«
»Vorausgesetzt, der blaue Blitz war wirklich ein Hinweis auf eine Wilde Macht«, warf Pierce ein.
»Ich denke, das war er.« Jez schaute Morgead an. »Er hat ganz eindeutig wie blaues Feuer ausgesehen. Und es steckte gewiss irgendeine Art von Macht dahinter.«
»Und Grandma Harman hat davon geträumt, dass die Wilde Macht in San Francisco ist«, fügte Morgead hinzu. »Es passt einfach alles zu gut.« Er sah Jez hintergründig an. »Aber es kann nicht jeder am Schauplatz gewesen sein.«
»Warum nicht?«
»Wegen der Prophezeiung der blinden Jungfer. Es muss jemand sein, der vor weniger als achtzehn Jahren geboren wurde. Vorher kann Aradia keine Visionen gehabt haben, weil sie zu der Zeit noch gar nicht gelebt hat.«
Göttin, ich bin heute schwer von Begriff, dachte Jez. Ich hätte daran denken müssen. Sie bedachte ihn mit einem schwachen Nicken des Respekts, und er erwiderte die Geste mit einem Grinsen. Es war kein boshaftes Grinsen.
»Wir haben trotzdem nicht viel in der Hand«, bemerkte Raven auf ihre pragmatische Art. »Aber meint ihr nicht, wir sollten zurück ins Haus gehen, um darüber zu reden? Irgendwann wird jemand vorbeikommen und uns mit einem bewusstlosen Kind sehen.«
»Gutes Argument«, erwiderte Jez. »Aber ich gehe jetzt nicht mit euch nach oben. Ich bringe das Kind nach Hause.«
»Ich auch«, sagte Morgead. Jez sah ihn an; er zeigte wieder seine typische sture Miene.
»In Ordnung, aber nur wir beide. Zwei Motorräder sind schon auffällig genug.« Sie wandte sich an Raven. »Ihr anderen könnt heute Abend tun, was ihr wollt; versucht herauszufinden, wer die Wilde Macht ist oder was auch immer. Wir werden uns morgen treffen und besprechen, was wir herausgefunden haben.«
»Warum warten?«, fragte Val. »Es dämmert gerade erst. Wir könnten uns heute Nacht treffen ...«
»Ich bin müde«, unterbrach Jez ihn. »Es ist genug für heute.« Und weiß die Göttin, wie ich auch nur diese Zeitspanne Tante Nan erklären soll, dachte sie erschöpft. Ganz zu schweigen davon, dass ich in der Schule gefehlt habe.
Pierce beobachtete sie mit einer seltsamen Miene. »Also wirst du Hunter berichten müssen, dass wir gescheitert sind«, sagte er, und in seiner Stimme lag ein prüfender Tonfall, der Jez überhaupt nicht gefiel.
»Ja. Ich werde ihm erzählen, dass ihr es vermasselt habt«, antwortete sie düster. »Aber dass wir immer noch einige Möglichkeiten haben. Es sei denn, es wäre dir lieber, ich würde ihm einfach
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