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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Funke Cornelia
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wischte sich mit dem Ärmel den Kaffee von der Nase. Schluss mit den Albernheiten. Es wurde Zeit, dass er wieder ans Geldverdienen dachte. Eine von seinen Schildkröten war erkältet, nieste ständig, das arme Ding, und Tierärzte waren teuer. Eine Taube trippelte unter Victors Tisch, eine von den Tausenden, die auf dem Platz herumpickten, und zupfte an seinen Schuhriemen. Als er die Jackentasche umdrehte und ihr die Krümel seines Frühstücksbrotes vor den hektischen Schnabel schüttelte, kackte sie ihm zum Dank auf die Schuhspitze. Was für ein Tag. Victor stieß einen tiefen Seufzer aus und sah auf seine Uhr. Kurz vor drei. Wird Zeit, dass ich was anderes als Kaffee in den Magen bekomme, dachte er und musste sich schon wieder die kalte Nase putzen. Da entdeckte er plötzlich sechs Kinder drüben auf der anderen Seite des Platzes, bei den Tischen des gegenüberliegenden Cafés. Sie fielen Victor auf, weil sie es offenbar sehr eilig hatten und weil der Junge, dem die anderen folgten, als wäre er ihr Anführer, eine dunkle Maske trug, die ihm das Aussehen eines kleinen Raubvogels gab. Sie gingen Richtung Basilika. Ein Mädchen war auch dabei und ein ziemlich kleiner Junge, aber er war nicht blond. Victor hob die Zeitung und beobachtete die Kinder unauffällig über den Rand hinweg. Der Magere mit den struppigen Haaren, der dicht hinter dem Anführer ging, kam ihm bekannt vor, aber ehe Victor ihn sich genauer ansehen konnte, waren die sechs plötzlich verschwunden, verschluckt von einer riesigen kanadischen Reisegruppe mit grellroten Rucksäcken. Ein ganzes Vaporetto hätte man mit diesen Leuten füllen können. Geht zur Seite, ihr Wandervögel!, knurrte Victor und reckte ärgerlich den kurzen Hals. Da. Dahinten waren sie wieder: vier Jungen und ein Mädchen, den maskierten Anführer nicht mitgezählt. Und da war auch das magere Bürschchen, das ihm so bekannt vorkam. Verflixt noch mal, diese struppigen Igelhaare… natürlich! Victor stand auf. Seine vier Kaffees hatte er schon bezahlt, ein Detektiv zahlt immer sofort. Schließlich soll ein Verdächtiger nicht entkommen, weil der Ober keine Zeit hat. Victor schlenderte Richtung Basilika und suchte sich in ihrer Nähe einen neuen Tisch, ohne die Kinder dabei aus den Augen zu verlieren.
Ja, er ist es!, dachte Victor und rückte sich die falsche Brille zurecht. Das ist der Junge, der mit Prosper zusammen war. Und der… »Dreh dich um!«, murmelte Victor und beobachtete den dunkelhaarigen Jungen, der jetzt etwas zurückblieb, durch den Sucher seines Fotoapparats. Wie fürsorglich er seinen Arm um den Kleinsten gelegt hatte. Ja, das musste er sein, Prosper… »Guck rüber zu mir!«, zischte Victor. »Guck schon her, bitte, Prosper!« Am Tisch rechts von ihm drehte sich eine Frau um und sah misstrauisch zu ihm herüber. Victor lächelte ihr verlegen zu. Warum konnte er es sich bloß nicht abgewöhnen, mit sich selbst zu sprechen? Da. Endlich. Der Dunkelhaarige sah sich um. »Verdammt, er ist es!« Triumphierend trommelte Victor mit den Fingern auf den Tisch. »Prosper, der Glückliche. Tja, mein Junge, soeben verlässt dich dein Glück, und Victor wird es aufsammeln. Hast du dir die Haare geschnitten? Tut mir Leid, aber so etwas kann Victor nicht täuschen. Und was ist mit dem Kleinen, um den du so brüderlich den Arm legst? Der ist ja so schwarzhaarig, als wäre er in ein Fass Tinte gefallen.« Tinte. Natürlich.
Victor summte vergnügt vor sich hin, während er ein Foto nach dem anderen machte, von der Basilika, von dem geflügelten Löwen und – den beiden Brüdern. Einmal am Tag kommt jeder in Venedig auf den Markusplatz. Man muss nur Geduld haben. Geduld. Sitzfleisch. Glück. Einen ganzen Sack voll Glück. Und gute Augen…
Es fehlte nicht viel und Victor hätte zu schnurren begonnen wie ein fetter, zufriedener Kater.

»Bo, komm weiter!«, drängte Prosper. »Es ist gleich drei. Nun komm endlich.«
Aber Bo stand vor dem großen Portal der Basilika und sah zu den Pferden hinauf. Immer, wenn er auf den Markusplatz kam, blieb er dort stehen, legte den Kopf in den Nacken und guckte zu ihnen hoch. Vier Pferde, riesige goldene Pferde, stampfend und wiehernd standen sie da oben. Bo wunderte sich jedes Mal, dass sie noch nicht heruntergesprungen waren, so lebendig sahen sie aus. »Bo!« Ungeduldig zog Prosper ihn weiter durch die Trauben von Menschen, die sich vor dem Eingang der riesigen Kirche drängten, begierig darauf, die vergoldeten Decken und Wände zu sehen.

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